„Wir müssen mehr trainieren“

„All das, was Jürgen Klinsmann jetzt gemacht hat, hat es ja schon früher gegeben. Er hat es nur anders verkauft“„Die Leute, die meine Sendung sehen, spielen selber in der Kreisklasse. Die denken: Das ist doch wie bei uns im Verein“

INTERVIEW HOLGER PAULER
UND MARTIN TEIGELER

taz: Herr Burgsmüller, hatten Sie eine Vorahnung, dass das Halbfinale der Nationalmannschaft in Dortmund schief geht?

Manni Burgsmüller: Nee, warum?

Sie waren doch 1977 beim 1:1 gegen Wales dabei, dem einzigen Spiel, das die DFB-Elf in Dortmund zuvor nicht gewinnen konnte.

Ach Gott, daran habe ich ja überhaupt keine Erinnerung mehr. Das Spiel habe ich aus meinem Gedächtnis gestrichen.

Ihre Länderspielkarriere war relativ übersichtlich. Warum hat Helmut Schön Sie 1978 nicht mit zur WM nach Argentinien genommen?

Nach drei Spielen war meine Karriere in der Nationalmannschaft beendet. Natürlich denke ich manchmal an früher, wenn ich aktuell die Spiele sehe. Ich frage mich schon, warum ich damals nicht mitgenommen wurde.

Woran lag‘s?

Die damaligen DFB-Trainer Helmut Schön und Jupp Derwall haben nicht erkannt, welche Position ich spiele. Die haben mich zur Nationalmannschaft geholt, weil ich damals bei Borussia Dortmund viele Tore geschossen habe. Die dachten, ich sei eine typische Nummer Neun. Das war ich aber nie. Ich habe hinter den Spitzen als offensiver Mittelfeldspieler gespielt. Wenn die das gemerkt hätten wäre ich auch zur WM gefahren.

Käme Ihnen das heutige System mit ein oder maximal zwei Spitzen eher entgegen?

Ich war einer der ersten Mittelfeldspieler, der hinter den Spitzen gespielt hat. Die Vereinstrainer haben damals schon gemerkt, wo meine Stärken liegen. Es lag eher an den Bundestrainern und nicht am System.

Bei der laufenden WM sind viele Stürmer hinter den Erwartungen zurück geblieben. Der Schnitt der erzielten Tore ist so niedrig wie lange nicht mehr. Woran liegt das?

Früher war es natürlich einfacher. Jeder Stürmer hatte einen Gegenspieler und fertig. Wenn er den ausgespielt hatte, stand er frei vor dem Tor. Das ist im heutigen Fußball völlig anders. Die Spieler haben keine Zeit mehr, den Ball anzunehmen.

Welche Spieler haben Ihnen gefallen und wer hat Sie bei der WM enttäuscht?

Es gab etliche Enttäuschungen. Spieler, die vor der WM als Superstars gehandelt wurden und das nicht umsetzen können. Ich möchte da keine Namen nenne. Natürlich hat Miroslav Klose überzeugt, obwohl er in den letzten beiden Spielen nicht so stark war. Aber fünf Treffer bei dieser Weltmeisterschaft müssen sie erst einmal machen.

Das Niveau der Spiele wurde allgemein kritisiert. Gab es ein Spiel, das Sie nachhaltig beeindruckt hat?

Das Spiel Deutschland gegen Polen hat mich nachhaltig beeindruckt – vielleicht auch, weil ich persönlich im Stadion war. Das Spiel lebte von der Dramatik und dem Siegtreffer in der Nachspielzeit. Es müssen nicht immer viele Tore fallen, damit Begeisterung entsteht.

Jürgen Klinsmann hat mit dem Offensivfußball eine Fußballrevolution in Deutschland ausgelöst. Wird sich der Trend fortsetzen?

Klinsmann hat erkannt, dass die deutsche Defensive im Moment nicht unbedingt stabil ist und keine Spiele mehr gewinnt. Er hat die Flucht nach vorne angetreten. Um die Unterstützung der Zuschauer zu bekommen, war das eine vernünftige Entscheidung.

Kann man das in die Bundesliga rüberretten?

Man wird versuchen, einiges zu übernehmen. Aber all das was Klinsmann gemacht hat, hat es ja schon früher gegeben. Er hat das Rad nicht neu erfunden. Die Öffentlichkeit hat die Nase gerümpft, als Klinsmann plötzlich mit Gummibändern trainieren ließ. Zu meiner aktiven Zeit gab es das Deuserband. Es ist nichts wirklich Neues, was Klinsmann macht. Er hat es nur anders verkauft. Natürlich hat er mit seiner Art eine neue Euphorie im deutschen Fußball entfacht.

Können Sie die Erkenntnisse auch auf die Kreisliga übertragen? Wird der SSV Hacheney, den Sie in der Kabel1-Dokusoap „Helden der Kreisklasse“ betreuen, davon profitieren?

(lacht) Wir müssen einfach noch mehr trainieren.

Haben Sie mit Ihren Spielern die Spiele gemeinsam gesehen?

Um Gottes Willen. Nein, ich hatte während der WM viel zu tun. Außerdem mussten die Jungs sehr viele Freundschaftsspiele absolvieren. Sie sind halt begehrt.

Sie sind ja sowas wie der Jürgen Klinsmann des SSV Hacheney. Als erfolgreicher Angreifer treffen Sie auch auf eine Mannschaft, der bestimmte Grundlagen fehlen.

Der Vergleich hinkt natürlich. Aber wenn Sie es so sehen wollen: klar ein wenig stimmt das schon... (lacht erneut)

Haben Sie für Ihre TV-Mannschaft in der kommenden Saison ähnlich ambitionierte Ziele wie Klinsmann?

Wir wissen noch nicht, ob die Sendung weitergeht. Wir überlegen gerade, ob es Sinn macht. Die „Mission Aufstieg“ in die Kreisliga B ist erfüllt. Wir müssten dem Kind dann einen neuen Namen geben. Ende Juli wird es eine Entscheidung geben. Nimmt man die Einschaltquoten, müsste es weiter gehen.

Werden Sie in den Stadien eher als ehemaliger Spieler oder als Betreuer des SSV Hacheney wahrgenommen?

Beides natürlich. aber Sie glauben gar nicht, wer mich alles auf die Fernsehsendung anspricht. Das ist unfassbar. Normalerweise müsste die Einschaltquote auf Länderspielniveau liegen.

Woran liegt das Interesse?

Die Leute, die die Sendung sehen, spielen selber irgendwo in der Kreisklasse und in der Bezirksliga und sehen, dass sie das, was im Fernsehen mit meiner Person läuft, bei ihnen genauso läuft. Die denken: Das ist doch wie bei uns im Verein. Sie identifizieren sich mit der Sendung.

Man bekommt den Eindruck, dass Sie relativ gelassen an die Sache herangehen. Bringen die schlechten Spieler Sie denn nie aus der Ruhe?

Ab und zu raste ich schon aus, dann werde ich auch laut. Darauf warten die Produzenten doch nur. Für die groben Sachen ist mein Trainer Dieter Weinand zuständig.

Die Geduld verlieren Sie nie?

Zunächst einmal muss ich mir immer klar machen, dass das nur Kreisklasse ist. Da sind die Spieler eben limitiert. Trotz alledem hat sich jeder Spieler in jeder Trainingseinheit verbessert. Natürlich wird daraus kein Miro Klose mehr, aber es sind Kleinigkeiten, die mir am meisten Spaß machen.

Kann so eine verrückte Fußball-Geschichte auch außerhalb des Ruhrgebiets laufen?

Wir senden bundesweit. Die Quoten sind natürlich im Ruhrgebiet am höchsten. Wahrscheinlich kann der Rest der Republik sich nicht vorstellen, auf roter Asche zu spielen. Das ist halt typisch Ruhrgebiet.

Wer wird Weltmeister?

Frankreich.