Viel Liebe, wenig Zement

Eine Analyse des verzwickten Brandenburger Zementmarktes, die in der Geschichte einer noch jungen Ehe mündet

„Beton – es kommt drauf an, was man draus macht!“ – im hiesigen Fall die neue Hauptstadt. Den Kies dafür bringen Frachtkähne von der polnischen Oderseite über das Schiffshebewerk Niederfinow nach Berlin. Anfänglich wollten die Zementhersteller noch auf kerndeutschen Kies reflektieren. Wozu der Graf von Hardenberg seine ihm zusammen mit dem Schloss Neuhardenberg rückübereigneten Ländereien im Kreis Seelow an das Rüdersdorfer Betonwerk von Readymix verpachten wollte. Aber dort, im Vorwerk von Alt-Rosenthal, stieß er dann laut Tagesspiegel auf die „rabiateste Bürgerinitiative Deutschlands“ – bestehend aus den, wie die Stasi sie einst nannte, „feindlich-negativen Schriftstellern Schlesinger, Stade, Plenzdorf“, nun noch verstärkt durch ihren einstigen IM und einen Westberliner Psychoanalytiker.

Der britische Konzern Readymix, der heute zur mexikanischen Cemex gehört und dem weltweit 624 Firmen angeschlossen sind, wollte zunächst nur auf drei „Aufsuchungsfeldern“ nach Kies schürfen und damit neue Arbeitsplätze schaffen („Alle Kraft für unsere Hauptstadt“), aber die Alt-Rosenthaler Bürgerinitiative setzte dem Global Player derart wütend zu, dass er das Vorhaben aufgab. Einige Jahre später wurde der Readymix-Konzern selbst rabiat – indem er aus dem Betonkartell austrat, um u. a. gegen HeidelbergCement und Dyckerhoff Marktanteile zu gewinnen. Während der darauf folgenden Razzien bei zehn Kartellmitgliedern kooperierte Readymix mit der Polizei, um mit einer geringeren Strafe davonzukommen. Und dann unterbot der Konzern noch alle Zementpreise seiner Konkurrenten, die notgedrungen mithielten, um ihre teuren Produktionsanlagen auszulasten. Aber plötzlich im letzten Jahr stiegen die Zementpreise wieder – trotz anhaltender Bauflaute. Schon scharrten die Kartellwächter erneut mit den Hufen. Aber die FAZ beruhigte sie: „Diesmal handelt es sich wohl nur um ein Kartell der Vernunft!“

Um Näheres über dieses merkwürdige Marktgeschehen vor den Toren der Hauptstadt zu erfahren, traf ich mich mit einem Readymixer in Rüdersdorf. Zuerst erzählte er mir begeistert von dem mit Hilfe seiner Firma aufgebauten „Museumspark“, der Anschauungsobjekte vom altgermanischen Kalkbrennofen bis zu den modernsten Zementöfen biete. Dann von den Winnetou-Filmen, die zu DDR-Zeiten in den hiesigen malerischen Kalkbergen inszeniert wurden, und schließlich von dem West-Film „Befreite Zone“, der 2003 in Rüdersdorf gedreht wurde – und in dem mein Gesprächspartner als Statist mitwirkte. Plötzlich trat eine flammende Rothaarige an unseren Tisch, sie war mit dem Readymixer verheiratet, wie ich sogleich erfuhr, und zwar erst seit einer Woche. Die Frischvermählten erzählten mir in stereo die Highlights ihrer Hochzeitsfeierlichkeiten, die in einem Rüdersdorfer Restaurant begannen und mit einem Picknick im Rüdersdorfer Tagebau endeten. Danach waren sie in das Berliner Hotel Interconti kutschiert worden, wo man ihnen eine Übernachtung als Hochzeitsgeschenk reserviert hatte.

Beide hatten sich beim „Readymix-Umweltforum“ bzw. bei der anschließenden „Readymix-Werksbesichtigung“ kennen gelernt: „Es war Liebe auf den ersten Blick“, so der Readymixer, und seine Frau ergänzte: „Eigentlich wollte ich da gar nicht hin, aber mein damaliger Chef bestand darauf, weil er jemanden brauchte, der ihn anschließend sicher wieder nach Hause fuhr.“

Sie arbeitete ebenfalls in einer Zementfabrik, die jedoch kein Global Player zu sein schien, denn sie gebrauchte dafür das Wort „Klitsche“. Schon gleich nachdem sie den Readymixer kennen gelernt und sich in ihn verliebt hatte, kündigte sie ihren Chefsekretärinnenjob – und zog nach Berlin, „um näher an Rüdersdorf dran zu sein“. Ihr Zukünftiger bemühte sich währenddessen „rührend“ um eine neue Arbeitsstelle für sie – „bei Readymix“. Aber Zement würde sie „eigentlich gar nicht interessieren“, viel lieber hätte sie „mit Menschen zu tun“.

Dafür hatte sie, arbeitslos und mit einigen Ersparnissen, dann auch genug Zeit, die sie nutzte, um erst mal ihren Readymixer vor einer endgültigen Bindung „auf Herz und Nieren zu prüfen“ – und dann auch, um „seine ganze Sippschaft näher kennen zu lernen“ sowie sich mit den „zunächst befremdlichen ostdeutschen Gepflogenheiten in Rüdersdorf“ vertraut zu machen. Aber da ihr zukünftiger Mann in mehreren Vereinen aktiv war und sie sofort überall „mit hinschleppte“ war das alles „no problem“. Es folgte eine detaillierte Aufzählung aller Rüdersdorfer Vereinsaktivitäten, mit Schwerpunkt auf Maibaumsetzen, Anangeln und Schützenfest.

Nachdem ich mich verabschiedet hatte, fiel mir Anna Seghers vernichtende Kritik an Fjodor Gladkows sowjetischem Aufbauroman „Zement“ aus dem Jahr 1927 ein, die in dem Satz gipfelte: „Es ist noch zu viel von Liebe und zu wenig von Zement die Rede!“ Ähnlich ließe sich auch meine Rüdersdorfer Betonrecherche 2006 resümieren.

HELMUT HÖGE