Liberté, egalité, kaltes Wasser für alle

Wenn es heiß ist, braucht man ein Mantra, um sich weit weg zu fantasieren. Schönes Material zum Davondriften findet man auf der Liegewiese im Prinzenbad: „Ich glaube, ich lasse mein Röckchen beim Schwimmen an“ und die Folgen

Auf der Liegewiese im Prinzenbad steuert eine junge Rothaarige mit Sommersprossen die Gruppe junger Männer an, die neben uns lagert. Großes Hallo, kleines Küsschen – bestimmt machen alle irgendwas mit Fernsehen. Sie lässt sich nieder, entpellt obenrum ihren Badeanzug und plappert dabei in einem fort. Die Männer schweigen nach Männerart.

Vor einer Stunde haben sie Gras geraucht, vor einer halben Kuchen gegessen. Jetzt sind sie still. Dafür plappert die Frau ohne Unterlass. Auf einmal sagt sie: „Ich glaube, ich lasse mein Röckchen zum Schwimmen an.“

Diesen Satz finde ich auf Anhieb unheimlich schön. Er ist versöhnlich, still und doch voll wahrhaftiger Wucht in seiner tröstlichen Beiläufigkeit. „Ich glaube, ich lasse mein Röckchen zum Schwimmen an“: wie zauberhaft das klingt – das Leben kann so einfach sein und so wunderbar. So viel Vertrauen liegt in diesen Worten und so viel Gefühl. Das Vertrauen in die Kraft des Röckchens und das Gefühl, es besser anzulassen. Zum Schwimmen. Das Schwimmen als Metapher der Schwerelosigkeit, des unbeschwerten Gleitens durch Zeit, Raum und Kaltwasserbecken. Freiheit. Liberté, egalité, scheißegalité!

Ich denke, „ich glaube, ich lasse mein Röckchen zum Schwimmen an“ steht durchaus in einer Reihe mit dem wunderschönen verträumten „der Kaffee ist fertig“. Urlaub. Ein milder Südwind bläht den Vorhang und legt den Blick auf die Morgensonne frei, darunter schimmert das Meer. In diesem Moment hat das Glück sein Haar gelöst. Es gibt keine Angst. Alles ist gut. Im Appartement riecht es nach frischem Kaffee und über Nacht getrocknetem Liebessaft. Zwei Wochen pauschal, all exclusive. „Der Kaffee ist fertig“, haucht sie, und: „Ich glaube, ich lasse mein Röckchen zum Schwimmen an …“

„Ich glaube, ich lasse mein Röckchen zum Schwimmen an.“ In diesem Satz manifestiert sich die Ordnung des Schönen: Sonne, Mond und Sterne; verliebt, verlobt, verheiratet; Spiel, Satz und Sieg. Wäre ich musikalisch nur halb so begabt wie ambitioniert, würde ich sofort ein Lied um diese Zeile formen, ein Lied von der keltischen Kindfrau und dem Bade im angelassenen Röckchen.

Beruhigend plappert die Röckchenfrau weiter, wahrscheinlich irgendwas mit Fernsehen, einschläfernd – ich höre schon gar nicht mehr richtig hin, es ist eh zu laut: In den Bäumen singen die Vögel, für meinen Geschmack zu schrill und mehr ambitioniert als begabt. Oben rattert die Hochbahn, her und hin, hin und her, ein Maschinengewehr des ÖPNV und wie üblich randvoll mit Spannern mit Tageskarte; doch es ist für sie nur das halbe Vergnügen, denn den Nacktbereich weiter hinten kann man vom Viadukt aus nicht einsehen und hier lassen doch viele das Röckchen an, sogar zum Schwimmen. Was für ein Lärm aber auch!

Wenn wir groß sind, Liebste, dann kaufen wir uns ein kleines Haus am Waldrand. Eigentlich sind wir schon groß, so groß, dass wir fast schon wieder kleiner werden, aber das macht nichts. Das Alter ist ja heute nicht mehr so ein Problem. Es gibt viele Medikamente und Sportarten dagegen.

Außerdem gibt es Röckchen. Sie bedecken das schlaffe Fleisch und übertünchen den Verfall. In Röckchen tollen wir den lieben langen Tag über die Wiese in unserem Garten neben dem kleinen Haus am Waldrand. Wie ruhig es dort ist! Es gibt keine Hochbahn und kein Geplapper über irgend was mit Fernsehen. Es gibt noch nicht mal Fernsehen. Bloß ein paar Vögel, aber das ist ja heute nicht mehr so ein Problem. Es gibt viele Kaliber und Kugeln dagegen. Wir schießen sie alle tot. Dann ist es wieder ruhig. Es riecht nach frischem Kaffee und über Nacht getrocknetem Vogelblut.

ULI HANNEMANN