Kriminell Kiffen

Schleswig-Holstein senkt die Eigenbedarfsgrenze, bis zu der der Besitz von Cannabis straffrei bleiben kann. Das bisher liberalste wird damit zum rigorosesten Bundesland

Von Elke Spanner

Es ist nicht lange her, dass Schleswig-Holstein als das drogenpolitische Amsterdam Deutschlands galt. In Lübeck hatte Wolfgang Neskovic, späterer Richter am Bundesgerichtshof und heutiger Abgeordneter der Linkspartei, als erster Richter ein „Recht auf Rausch“ proklamiert – und damit 1994 das wegweisende Urteil des Bundesverfassungsgerichtes bewirkt, dass der Besitz einer „geringen Menge“ Cannabis straffrei bleiben kann. Anschließend hatte Schleswig-Holstein für diese „geringe Menge“ eine Obergrenze festgesetzt, die bundesweit einmalig bleiben sollte: 30 Gramm – das entspricht rund 60 Joints.

Nun schreibt die inzwischen rotschwarze Landesregierung erneut Drogengeschichte. Diesmal allerdings mit umgekehrten Vorzeichen: Justizminister Uwe Döring (SPD) hat angekündigt, die Eigenbedarfsgrenze auf sechs Gramm abzusenken – und diesmal den bundesweit untersten Wert festzuschreiben. „Wir können nicht Schüler wegen Zigarettenrauchens auf dem Schulhof von der Schule verweisen und andererseits untätig bleiben, wenn sie mit 30 Gramm Cannabis erwischt werden“, begründet Ministeriumssprecher Herbert Schnelle die Initiative.

Die Eigenbedarfsgrenze dient dazu, die Konsumenten von den Dealern zu trennen. Grundsätzlich ist es auch verboten zu kiffen. Von der Strafverfolgung können die Behörden aber absehen, wenn jemand das bei ihm gefundene Cannabis offenkundig nur selbst verbraucht. „Wir wollen die Kleinverbraucher nicht kriminalisieren“, sagt Minister Döring. Dabei soll es auch bleiben. Auf der anderen Seite aber sollen Händler die „volle Härte des Gesetzes spüren“. Um die Dealer als solche zu erkennen, gibt es die Obergrenze, ab der sich kein Cannabisbesitzer mehr auf Eigenverbrauch herausreden kann.

Bundesweit liegt die Eigenbedarfsgrenze im Durchschnitt bei 8,9 Gramm. Dass Schleswig-Holstein die „geringe Menge“ nun von 30 auf nur sechs Gramm reduziert, erklärt der Justizminister mit dem starken Anstieg des Wirkstoffgehaltes in einem Joint. Das Tetrahydrocannabinol (THC) sei heute sehr viel konzentrierter, die Wirkung des Joints entsprechend verstärkt. Deshalb, so Ministeriumssprecher Schnelle, seien 30 Gramm Cannabis heute faktisch sehr viel mehr Rauschmittel als Mitte der 90er Jahre, als die alte Eigenbedarfsgrenze eingeführt wurde. Heute müsse man unterstellen, dass jemand, der so viel Cannabis bei sich führt, „damit auch handeln will“.

Zum drogenpolitischen Handeln sieht sich Schleswig-Holstein auch veranlasst, weil der Cannabiskonsum bei Kindern und Jugendlichen in den vergangenen Jahren kontinuierlich angestiegen, das Einstiegsalter ebenso konstant abgesunken ist. Dennoch ist der Konsum im nördlichsten Bundesland offenbar geringer als im übrigen Bundesgebiet: Im Dezember hat das Gesundheitsministerium einen Drogenbericht mit „Ergebnissen zum Konsum psychoaktiver Substanzen in Schleswig-Holstein“ vorgelegt. Dem ist zu entnehmen, dass im Norden rund acht Prozent der 12 bis 25-Jährigen als Cannabis-Konsumenten gelten – bundesweit sind es 13 Prozent. Offenbar hat die liberale Eigenbedarfsgrenze von 30 Gramm den Drogenkonsum nicht befördert. Die suchtpolitische Sprecherin der Grünen Landtagsfraktion, Angelika Birk, spricht deshalb von einer „rein populistischen“ Absenkung der Eigenbedarfsmenge.

Dass Schleswig-Holstein im Bundesvergleich recht gut dasteht, erklärt Birk mit der „erfolgreichen Drogenpräventionsarbeit der ehemaligen rot-grünen Landesregierung“. Sie appellierte gestern an Justizminister Döring, an der Wichtigkeit der Drogenprävention auch „im Rahmen der Haushaltsberatungen“ festzuhalten und von „unsensiblen Kürzungen“ bei Suchtberatungen abzusehen.