Polizei bricht mit übler Methode

Mit einer Woche Verspätung reagiert der Polizeipräsident auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs: „Bis auf weiteres“ darf Dealern kein Brechmittel mehr zwangsweise verabreicht werden

von Plutonia Plarre

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Brechmitteleinsatz hat nun auch Folgen für Berlin. Polizeipräsident Dieter Glietsch entschied gestern, dass die Polizei „bis auf weiteres“ auf die zwangsweise Verabreichung des Medikaments Ipecacuanha verzichten wird. Das Brechmittel wird Straßendealern, die im Verdacht stehen, Drogenpäckchen verschluckt zu haben, gegen ihren Willen mit einer Nasensonde verabreicht. In Hamburg und Bremen hatte es in den letzten Jahren zwei Todesfälle gegeben.

Der Europäische Gerichtshof hat diese Praxis am vergangenen Dienstag für menschenunwürdig erklärt (taz berichtete). Der Brechmitteleinsatz sei eine „inhumane und erniedrigende Behandlung“, entschieden die Richter. Geklagt hatte ein 41-jähriger Mann aus Sierra Leone, der 1993 in Wuppertal von Zivilfahndern beim Dealen erwischt worden war. In einem Krankenhaus war dem Afrikaner zwangsweise ein Brechmittel verabreicht worden. Damit sollte er dazu gebracht werden, ein Drogenpäckchen auszuspucken, das er bei seiner Festnahme vor den Augen der Polizisten verschluckt hatte. Vier Beamte hatten ihn niedergehalten, während ihm ein Arzt den Nasenschlauch einführte, durch den das Brechmittel in den Magen gepumpt wird.

In Berlin kommt das Medikament seit 1994 zum Einsatz. Wie in Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Bremen wird es hauptsächlich bei Kleindealern verwendet, die Drogenkügelchen in ihrem Mund zu bunkern pflegen. Nach dem Tod eines Dealers in Hamburg im Dezember 2001 hatte die Berliner Polizei kurz Abstand von der Methode genommen. Im März 2004 kehrte man wieder zu ihr zurück. Dabei blieb es auch nach dem Todesfall eines Festgenommen in Bremen im Januar 2005. Von den Grünen seinerzeit im Abgeordnetenhaus zur Rede gestellt, verteidigte Innensenator Ehrhart Körting (SPD) seine Linie. Er erklärte, der Senat habe sich unter Beratung eines hochrangigen Gerichtsmediziners entschlossen, „den Einsatz von Brechmitteln unter Kontrolle von Polizeiärzten für bedenkenlos zu halten“. Von der Alternative, so lange zu warten, bis der Beschuldigte die Drogenkügelchen auf natürlichem Weg ausscheidet, halte er nichts, so Körting. Das sei zu langwierig und außerdem gefährlich, weil die Verpackung im Magen aufbrechen könne.

Polizeipräsident Glietsch kündigte gestern an, bis „zur Prüfung des schriftlichen Urteils“ auf die Maßnahme zu verzichten. „Die Entscheidung war überfällig“, sagt der Fraktionschef der Grünen, Volker Ratzmann. Allerdings müsse die Polizei diese Praxis ein für alle Mal einstellen.

Der Sicherheitsexperte der Linkspartei, Udo Wolf, zeigte sich froh darüber, dass der Europäische Gerichtshof endlich Rechtsklarheit geschaffen habe. Schon in letzter Zeit sei kein „klassischer Zwang“, sondern nur noch ein „milder Zwang“ auf die Dealer ausgeübt worden, so Wolf. Mit „mild“ ist gemeint, dass die Dealer vor die Alternative gestellt wurden, das Medikament lieber freiwillig zu schlucken, um die Sonde zu vermeiden. Dazu Ratzmann: „Man kann die Freiwilligkeit auch herbeireden.“