Lord Dahrendorfs neue Chefin

Das Wissenschaftszentrum Berlin angelte sich einen Hai in den Karpfenteich: Jutta Allmendinger will Präsidentin werden – und trotzdem weiter über Arbeit, Bildung und Armut forschen. Der Staat lässt seine Kinder bereits in der Schule fallen, so ihre These

AUS KÖLN CHRISTIAN FÜLLER

Manche sagen: Sie ist die Kaltschnäuzigste, manche halten sie für charmant, andere sind überzeugt: Sie ist die Beste. Jutta Allmendinger, Soziologin, Treibauf, Noch-Direktorin des Forschungsinstituts der Bundesagentur für Arbeit, lässt ihr Publikum nie kalt. Die 140 Forscher am Berliner Wissenschaftszentrum (WZB) für Sozialforschung werden bald wissen, was sie an ihr haben. Jutta Allmendinger wechselt vom Chefsessel in Nürnberg, sie wird Präsidentin des WZB, des größten sozialwissenschaftlichen Forschungsinstituts in Europa. Das Kuratorium des WZB sagte gestern Ja zu Allmendinger. Und die 49-Jährige hat bereits deutlich gemacht: Wir haben noch viel vor.

Jutta Allmendinger meint damit das Wissenschaftszentrum, nicht zuletzt aber auch sich selbst. „Ich kann mir gar nichts anderes vorstellen, als zu forschen“, sagte Allmendinger. Konkret heißt das: Auch wenn sie Präsidentin ist, will sie weiter an so genannten Panelprojekten mitarbeiten. Das sind empirische Langzeiterhebungen, mit denen Wissenschaftler die soziale Lage der Menschen über Jahre verfolgen. Arbeit, Bildung und Armut stehen im Zentrum der Allmendinger’schen Interessen.

Sie geht davon aus, dass sich die Ungleichheit der Gesellschaft nicht erst am Arbeitsmarkt, sondern bereits im maroden Bildungssystem entwickelt. Das deutsche Sozialstaatsmodell verschlampt erst die Talente seiner Kinder, um sie dann mit Sozialtransfers zu alimentieren.

Am Wissenschaftszentrum Berlin folgt Allmendinger dem über die Maßen angesehenen Historiker Jürgen Kocka nach. Deutlicher als in den beiden Personen kann man den Stilwechsel nicht akzentuieren. Hier Kocka, der fast ein wenig altersweise Leibnizpreisträger, der am Ende seiner erfolgreichen Erkenntnissuche auf seinen vielen Büchern und dem Präsidentenstuhl des WZB thront. Dort die ehrgeizige, manchmal bissige Noch-Nicht-Fünfzigerin, die gar nicht daran denkt, nur noch Wissenschaftsmanagement zu treiben und Festvorträge zu halten.

Wie sie ihr Mammutprogramm – Repräsentieren, Forschen und wissenschaftlicher Nachwuchs – mit der eigene sozialen Situation vereinbart, wird sich zeigen. Wenn sie ihr Programm wirklich wahr machen will, wird Jutta Allmendinger jedenfalls kaum noch anderen Menschen als den Wissenschaftlern am WZB begegnen. Dort herrscht Freude über die Powerfrau – und Nervosität. Ob denn der Wind nun genauso scharf wehen werde wie durch das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), fragen sich WZB-Mitarbeiter. Immerhin hatte Allmendinger in Nürnberg Forschung wie Personal neu sortiert und die halbamtlichen Arbeitsmarktforscher zum Publizieren ermuntert. Nur scheinbar gab Allmendinger in Berlin Entwarnung: Das Wissenschaftszentrum in Berlin sei doch als Institution mit Nürnberg nicht vergleichbar. In ihren Augen ist das WZB keine Berliner, sondern eine international agierende Akademie, die exzellente Nachwuchsforscher heranziehen müsse.

In der Tat, vergleichbar sind IAB und WZB kaum. Das Nürnberger Institut ist eine Art Testlabor für die Experimente, die man in Arbeitsministerium und Bundesagentur für das Heer der Joblosen ausheckt; dort war Allmendinger weisungsbefugte Herrin der Forschung. Das WZB hingegen ist eine unabhängige Einrichtung der Spitzenforschung. Dort leiten Direktoren, die meist renommierte Wissenschaftler sind, die Erkenntnissuche an – autonom von etwaigen Direktiven Allmendingers. Nur drei Wissenschaftler sind ihr als WZB-Präsidentin direkt zugeordnet – einer heißt Prof. Dr. Dr hc. mult. Lord Ralf Dahrendorf.