Das israelische Militär nimmt keine Rücksicht auf die Zivilisten
: Waffenstillstand jetzt!

Mein elfjähriger Sohn ist vor zwölf Tagen zu Besuch zu seinen Verwandten in den Südlibanon nach Nabatiya gefahren und hat die Bombardierungen der letzten Tage im Süden miterleben müssen. Israelische Bomben waren in der Nacht vom 17. auf den 18. Juli nur Meter neben ihrem Haus eingeschlagen. Glücklicherweise konnte er mit dem gestrigen Konvoi außer Landes gebracht werden. Dies war dem beherzten Einsatz eines libanesischen Fahrers zu verdanken, der ihn trotz erheblichen Risikos aus der Kampfzone nahe Nabatiya herausgeholt hat. Aus Telefonaten mit ihm und Medienberichten setzt sich die folgende Darstellung zusammen.

Die Lage für die Bevölkerung im Süden ist derzeit unerträglich und eskaliert von Stunde zu Stunde. Die israelische Luftwaffe zerstört Brücken, Straßen, Elektrizitätswerke, Einrichtungen der Wasserversorgung, Treibstofftanks und Wohnhäuser selbst in jenen Gegenden, in denen es keine Hisbollah-Kämpfer gibt und aus denen Israel niemals beschossen worden ist. Das Bombardement mit massiver Durchschlagkraft dient einzig dem Zweck, die Zivilbevölkerung zu terrorisieren. Es existieren in der Gegend keine öffentlichen Schutzräume oder Bunker für die Zivilisten.

Die israelische Luftwaffe wirft in manchen Ortschaften Flugblätter ab und fordert die Bevölkerung auf, ihre Häuser zu verlassen. Doch diese Aufforderung ist zynisch, da sie gleichzeitig die Verbindungsstraßen und Brücken zerbombt und Tankstellen zerstört hat, sodass viele Autos gar nicht mehr fahrbereit sind. Straßen werden nicht etwa außerhalb der Ortschaften zerstört, sondern teils mitten in Wohngebieten. Die israelische Armee beschießt Zivilfahrzeuge und hat bereits Dutzende von Flüchtlingen auf dem Weg in vermeintlich sicherere Gegenden getötet. Sie beschießt selbst deutlich gekennzeichnete Rettungsfahrzeuge und Lastwagen, die Versorgungsgüter für die Zivilbevölkerung transportieren und Flüchtlinge evakuieren. Gestern kamen Stellungen der UN-Truppen, bei denen die Zivilbevölkerung Schutz sucht, unter israelisches Feuer.

Lebensmittel und Trinkwasser gehen aus, die Stromversorgung ist zerstört, Generatoren können nicht mehr genutzt werden, da Brennstoff fehlt, das Telefonnetz ist schwer beeinträchtigt, da Sendemasten bombardiert wurden, sodass die Menschen keinen Kontakt mehr untereinander halten können. Die Situation wird immer unübersichtlicher, und es bahnt sich eine Katastrophe an, wenn das Bombardement nicht sofort beendet wird.

Diese Kriegsführung bricht eindeutig internationales Völkerrecht. Das Leid der Zivilbevölkerung in Nordisrael will ich hier in keiner Weise schmälern, aber die dortige Bevölkerung kann sich in Schutzbunkern in Sicherheit bringen, sie wird mit allen lebensnotwendigen Gütern versorgt, die Infrastruktur ist weitgehend intakt, sie kann im Notfall die Gegend verlassen. All dies steht den Menschen im Südlibanon nicht mehr zur Verfügung.

Die Kriegsführung der israelischen Armee hat jedes Maß verloren. Die Zahl der getöteten Zivilisten im Libanon (offiziell bislang 300, wobei unter den Trümmern vieler Häuser noch weitere Tote vermutet werden) übersteigt die Zahl der getöteten israelischen Zivilisten um ein Vielfaches.

Die Frage von Ursache und Wirkung dieses Krieges, mithin die Frage, wer der Aggressor und wer der Verteidiger ist, stellt sich aus libanesischer Perspektive ganz anders: Israel hat bei seinem Rückzug aus dem Südlibanon im Jahre 2000 Minenfelder hinterlassen, durch die immer wieder Menschen verletzt und getötet werden. Die israelische Armee hält nach wie vor libanesisches Territorium auf den Schabaa-Farmen besetzt, und die israelische Luftwaffe verletzt seit Jahren ungehindert den libanesischen Luftraum.

Als Vergeltung für den Hisbollah-Angriff auf israelische Soldaten am 12. Juli hat die israelische Seite eindeutig damit begonnen, massiv zivile Ziele der Gegenseite anzugreifen. Sie hat damit den Grundstein für die momentane Eskalation gelegt.

STEPHAN ROSINY

Der Autor arbeitet als wissenschaftlicher Assistent am Institut für Islamwissenschaft der FU Berlin