Schwestern zahlen für Chefärzte

Die Ärzte weiten ihre Streiks an den kommunalen Kliniken munter aus. Gelingt es dem Marburger Bund, das Arbeitgeberlager zu spalten, müssen die Krankenschwestern und Hausmeister bei Ver.di um ihre eigenen Löhne – und um ihre Jobs bangen

AUS KÖLN DIRK ECKERT

Zur Frühstückspause haben sich einige Patientinnen und Patienten nach draußen gesetzt. Es gibt Brötchen, Bild und Zigaretten. Streiken die Ärzte hier oder nicht? Auf der Bank vor dem Haupteingang der Städtischen Klink Köln-Merheim gehen die Meinungen auseinander. „Diese Woche machen sie hier eine ganze Station dicht“, behauptet eine Frau. Eine andere erinnert sich, dass letzte Woche genau hier eine kleine Protestkundgebung war. Und eine dritte hat nichts mitbekommen vom Ärztestreik.

Das Gelände der Klinik Köln-Merheim ist groß. So groß, dass kaum jemand merkt, ob denn auch Ärzte aus Merheim zur Demonstration des Marburger Bundes nach Dortmund gefahren sind. Hier ist von Arbeitskampf keine Spur. Schwestern huschen über die Flure, ein Hausmeister eilt von einem Gebäude zum nächsten. Zum Ärztestreik allerdings hat er eine eindeutige Meinung: „Find ich beschissen. Das geht uns an die Arbeitsplätze.“

Uschi Röhrig sieht das ähnlich. Die 51-Jährige arbeitet als Köchin in Merheim und ist Vertrauensfrau von Ver.di. Dass die Ärzte an den kommunalen Kliniken im Alleingang für einen besseren Tarifvertrag kämpfen, empfindet sie schlicht als unsolidarisch. „Die Kosten, die dann auf die Kliniken zukommen, müssen von anderen getragen werden“, sagt sie. Am einfachsten lasse sich beim Personal sparen. Das habe die Geschäftsführung auch schon angedroht.

„Wir würden uns wünschen, dass sich die Beschäftigten im Krankenhaus nicht auseinander dividieren lassen“, sagt Sylvia Bühler, Fachbereichsleiterin für Gesundheit beim nordrhein-westfälischen Landesbezirk von Ver.di. Doch da machen die im Marburger Bund organisierten Ärzte schon seit letztem Jahr nicht mehr mit. Weil sie sich von Ver.di schlecht vertreten fühlten, haben sie das Bündnis mit der Dienstleistungsgewerkschaft aufgekündigt.

Im aktuellen Tarifkonflikt an den kommunalen Krankenhäusern gerät Ver.di nun in die Zwickmühle. Einerseits treten die Ärzte lautstark für ihre Interessen ein. Das ist aus Sicht mancher Gewerkschafter längst überfällig. Andererseits ignorieren sie dabei die anderen Beschäftigten. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage der Krankenhäuser könnten diese letztlich diejenigen sein, die das höhere Gehalt der Chefärzte finanzieren müssen.

Verzweifelt versucht die Gewerkschaft in dieser Lage, wieder einen Fuß auf den Boden zu bekommen, und fordert nun eine Fahrtkostenpauschale von 150 Euro – für alle Beschäftigten an den kommunalen Kliniken, also auch für die Ärzte. „Wenn es finanzielle Spielräume gibt, müssen alle Klinikbeschäftigten davon profitieren, nicht nur eine Berufsgruppe“, sagt Gewerkschaftsfrau Bühler. Erfolgreich ist Ver.di mit der Kampagne kaum: Regionale Protestaktionen blieben weitgehend unbeachtet.

Den Marburger Bund beeindruckt das alles wenig. Ver.di habe die Ärzte „einseitig benachteiligt“, fasst ein Sprecher die Vorbehalte der Ärzteorganisation gegen Ver.di zusammen. Nach dem Scheitern der Tarifverhandlungen vor einer Woche setzt der Marburger Bund nun darauf, die Kliniken zu spalten und so die Arbeitgeberfront zu brechen. Nach dem Vorbild von Stuttgart sollen Tarifverträge mit einzelnen Kliniken ausgehandelt werden, die gelten, bis es einen einheitlichen Tarifvertrag gibt.

Die Gewerkschaft beobachtet dieses Vorgehen mit Sorge. Ihr Schreckensszenario: Der Marburger Bund treibt einzelne Kliniken zum Austritt aus dem Arbeitgeberverband. Der Flächentarifvertrag wäre am Ende. „Das wäre ein Kampfansage“, sagt Ver.di-Vertrauensfrau Röhrig. Ver.di und Marburger Bund wären verfeindete Organisationen.

Unrealistisch ist so ein Szenario nicht. Denn tatsächlich sollen schon mehrere der rund 60 Krankenhausträger in Nordrhein-Westfalen mit Austritt aus dem Arbeitgeberverband gedroht haben, falls sich der Marburger Bund durchsetzt. Den Tarifvertrag der Unikliniken, den die Ärzte übernehmen wollen, halten die kommunalen Kliniken schlicht für unbezahlbar. Stärker als die Unikliniken unter Druck von der Konkurrenz durch die wohlgenährten privaten Klinikketten, wären sie außerdem umso mehr von Schließung oder Privatisierung bedroht.