Berlin–Beirut, Beirut–Berlin

Berlin könnte Kriegsflüchtlinge aus dem Libanon aufnehmen, meint Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (PDS). Innensenator Körting (SPD) will sich mit dieser Frage lieber noch gar nicht befassen

Von Alke Wierth

Mehrere hundert Kriegsflüchtlinge aus dem Libanon könnten in Berlin sofort Aufnahme finden, langfristig sogar noch mehr – nicht von Innensenator Ehrhart Körting (SPD), sondern von seiner Kollegin, der Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (PDS), stammen diese Äußerungen.

Einen Denkanstoß habe die Senatorin geben wollen, sagt deren Sprecherin Roswitha Steinbrenner. Für die spontane Aufnahme von Flüchtlingen verfüge Berlin „über die erforderlichen räumlichen Kapazitäten ebenso wie über das notwendige Know-how“. Und: „Einem Land, dass sich der Humanität verpflichtet fühlt, stünde dies gut zu Gesicht“, so Steinbrenner. Im Alleingang könne Berlin solche Maßnahmen allerdings nicht beschließen, räumt auch Steinbrenner ein. Dafür sei ein entsprechendes Abkommen der Europäischen Union nötig. Dort würden zunächst Aufnahmekontingente für einzelne EU-Mitgliedsländer festgelegt. Der Bund würde dann die von Deutschland aufgenommenen Flüchtlinge auf die Bundesländer verteilen.

Die Notwendigkeit eines solchen EU-Beschlusses sieht Jens-Uwe Thomas vom Flüchtlingsrat allerdings nicht. Deutschland könne auch im Alleingang beschließen, libanesische Kriegsflüchtlinge aufzunehmen – das Aufenthaltsrecht sehe das nötige Instrumentarium vor. Den Vorstoß von Knake-Werner findet Thomas „gut und wichtig“: Berlin könne sich auf Bundesebene aktiv für die Aufnahme von Flüchtlingen einsetzen.

Verhaltener reagierten Vertreter von Organisationen arabischstämmiger Berliner auf den Vorschlag. „Wie vielen kann damit geholfen werden?“, fragt Nabil Rachid, Vorsitzender des Dachverbandes arabischer Vereine in Berlin. Wichtig sei derzeit vor allem, den Flüchtlingen im Libanon mit Lebensmitteln und Medikamenten zu helfen – „und die Kriegshandlungen so schnell wie möglich zu stoppen“. Doch auch die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen aus dem Libanon würde er begrüßen, denn: „Es gibt zur Zeit keine Möglichkeit, Angehörige aus dem Libanon nach Deutschland zu bringen, die nicht die deutsche Staatsbürgerschaft oder ein Aufenthaltsrecht haben“, beklagt Rachid.

Tatsächlich gibt es für potenzielle Flüchtlinge aus dem Libanon momentan keinen legalen Weg nach Deutschland. Die Visaabteilungen der Botschaften in Beirut und Damaskus sind seit Tagen geschlossen: Man habe alle Arbeitskräfte dazu gebraucht, die Ausreise der deutschen Staatsangehörigen zu organisieren, heißt es aus dem Auswärtigen Amt.

5.800 Personen hat das Amt bisher aus dem Libanon evakuiert – deutsche Staatsbürger ebenso wie Menschen, die über einen sicheren Aufenthaltstitel für Deutschland verfügen. Auch enge Familienangehörige deutscher Staatsbürger können bei den Bustransporten aus dem Libanon heraus mitfahren. Für die Weiterreise nach Deutschland bräuchten sie allerdings ein Visum. In den nächsten Tagen sollen die örtlichen Visastellen wieder geöffnet werden.

Immer mehr Berliner vor allem arabischer Herkunft treffen unterdessen aus dem Libanon wieder in Berlin ein. Wie viele noch dort oder auf dem Rückweg sind, weiß niemand ganz genau. Von den über 30.000 Libanesen und aus dem Libanon stammender Palästinensern, die in Berlin leben, verfügt ungefähr ein Drittel über sichere Aufenthaltstitel. Knapp 3.500 haben die deutsche Staatsbürgerschaft. Die Übrigen sind geduldete Flüchtlinge, die teils bereits seit Jahrzehnten hier leben. Sie können nicht in den Libanon reisen. Verlassen sie Deutschland, erlischt die Gültigkeit ihrer Duldung und damit die Chance auf Wiedereinreise. Immerhin müssen sie derzeit nicht mit Abschiebung rechnen. Die Innenverwaltung hat wegen der Kriegshandlungen einen Abschiebestopp für den Libanon verhängt – für drei Monate.

Den Vorschlag seiner Senatorenkollegin, nun weitere Flüchtlinge aufzunehmen, mag Innensenator Körting übrigens gar nicht als solchen verstehen. Man sei sich darüber einig, dass die Versorgung der Flüchtlinge vor Ort Vorrang habe, sagte Körting der taz: „Es ist wichtiger, den Krieg dort zu beenden, als den Menschen zu sagen: Kommt alle zu uns.“ Die Aufnahme kranker Kinder oder Verletzter hält der Innensenator im Einzelfall aber für möglich. Die Aufnahme größerer Zahlen von Flüchtlingen sei dagegen „keine Sache, die jedes Bundesland für sich zu klären hat“. Die Frage stelle sich erst, wenn EU und Bund entsprechende Entscheidungen träfen. Signale in diese Richtung gibt es derzeit allerdings nicht.