Parteien gehen in die Spur

Auf die Berliner kommt ein Tempo-Wahlkampf zu: Die Parteien konzentrieren ihre Aktionen auf die letzten Wochen vor dem 17. September. Denn immer mehr Wähler entscheiden sich ganz am Schluss

VON ULRICH SCHULTE

Am schnellsten war die Tempo-Partei FDP. Die Neuköllner Liberalen hängten am vergangenen Samstag über 300 Plakate in ihrem Bezirk an Laternenpfähle, Stunden vor dem offiziell erlaubten Starttermin um null Uhr am Sonntag. Während sich die FDPler ob des vermeintlichen Coups noch die Hände rieben, der ihnen die besten Plätze sicherte, schritt das Ordnungsamt ein – und hängte die Plakate ab.

Zwar belegt der Bezirkskrimi: So langsam machen die Parteien Ernst. Doch nach der öffentlichkeitsträchtigen Plakatierung folgt im Wahlkampf eine Pause. Erst nach den Sommerferien Ende August beginnt die heiße Phase. Denn die Parteien haben aus vergangenen Wahlen gelernt: Immer mehr Wähler entscheiden immer später, wem sie ihre Stimme geben. Bei der baden-württembergischen Landtagswahl im März traf ein Drittel der BürgerInnen seine endgültige Wahl erst in der letzten Woche, sagt der Politologe Gero Neugebauer. Dazu passt eine Infratest-Umfrage, die gestern öffentlich wurde: Im Moment interessieren sich 53 Prozent der Hauptstädter nicht für die Wahl.

Geschickte Dramaturgie

Die Parteien reagieren darauf: Die SPD organisiert nach Ferienende täglich eine Veranstaltung in einem Bezirk, die CDU hält es genauso. Die offiziellen Wahlkampfauftakte der Parteien, seien es Grüne oder FDP, liegen alle um das letzte Ferienwochenende. Dann sind die Urlauber zurück in der Stadt, dann erwachen die Medien aus dem Sommerloch-Dämmerschlaf. Außerdem ist eine neue Zielgruppe zurück. „Wir wollen vor allem 16- und 17-Jährige für unsere Politik interessieren. Und die sind erst ab Schulbeginn erreichbar“, sagt PDS-Wahlkampforganisator Carsten Schatz. Jugendliche dürfen in diesem Jahr erstmals an den Bezirkswahlen teilnehmen.

Für die kleinen Parteien bietet ein Wahlkampfsprint kurz vor Schluss Vorteile. Ihnen fehlt für einen Dauerlauf schlicht das Geld. „Wir könnten es uns gar nicht leisten, schon im Mai Bambule zu machen“, sagt FDP-Landesgeschäftsführer Horst Krumpen. Und Organisation und Mobilisierung fallen ebenfalls leichter – zumal es nicht der erste Schnellwahlkampf in Berlin ist. 2001 zerbrach die große Koalition, die Bundestagswahl musste 2005 nach dem Abtreten Gerhard Schröders spontan gestemmt werden. „Es musste immer schnell gehen. Wir haben schon Übung“, fasst die grüne Wahlkampfmanagerin Kirsten Böttner zusammen.

Klaus Wowereit hat bis Anfang der Woche erst mal geurlaubt. Er kann es sich erlauben. Wie kein anderer hat der SPD-Spitzenkandidat von der Fußball-WM profitiert. Wowereit mit Beckenbauer vor dem Brandenburger Tor, Wowereit auf der Fanmeile, Wowereit mit der Nationalmannschaft bei der Abschiedsfeier – das Großereignis bescherte dem SPD-Kandidaten Gratiswerbung en masse.

In Umfragen ist Wowereit der beliebteste Politiker. Die SPD setzt voll auf seine Zugkraft: Zum Wahltag hin werden immer mehr Großflächen und Plakate mit Wowereits Konterfei beklebt, kündigt Parteisprecher Hannes Hönemann an.

Gepflegte Langeweile

Die gnadenlose Personalisierung belegt nicht zuletzt: Es fehlen aufrüttelnde Themen. War die Stimmung bei der Wahl 2001, zur Hochzeit des Bankenskandals, hoch politisiert, herrscht jetzt gepflegte Langeweile. „Dass gespart werden muss, haben alle akzeptiert. Es fehlen Themen, mit denen man punkten kann“, sagt der SPD-Abgeordnete Christian Gaebler.

Auch deshalb sieht es so aus, dass jeder noch so nichtige Anlass zur Profilierung herhalten muss. Die SPD denkt über Olympische Spiele 2020 nach, die man in ferner Zukunft in die Stadt holen könnte, die CDU sorgt sich um einen aus dem Klofenster entsprungenen Häftling.

Gerade im linken Lager fällt die Profilierung schwer. Was die Grünen in der Bildung wollen, unterscheidet sich kaum von den Zielen der Linkspartei – dabei konkurrieren beide um den dritten Platz hinter SPD und CDU. „Natürlich muss man sehr das eigene Alleinstellungsmerkmal rausarbeiten“, sagt die Grüne Böttner. Dabei werden die Reflexe der eigenen Klientel bedient: Die Grünen drucken Solarzellen auf ihre Plakate, die Linkspartei wettert gegen „Profitmacherei mit Krankenhäusern und Wohnungen“.

An einem scheint es allen aber nicht zu mangeln: am Engagement ihrer Mitglieder. Die Parteizentralen melden Kampfeswillen. „Von einer Haltung ‚Für Rot-Rot ist es eh schon gelaufen‘ fehlt jede Spur“, sagt Linkspartei-Mann Schatz. Auf die Stadt kommen also spannende Wochen zu. Es müssen ja nicht gleich Plakatschlachten wie in Neukölln sein.