Der Stil macht den Sound

Die beiden alteingesessenen Berliner Stadtmagazine haben neue und junge Chefredakteure bekommen: Mercedes Bunz, 34, leitet die „zitty“, Heiko Zwirner, 34, den „tip“. Zwei Begegnungen

Bunz und Zwirner: zwei unterschiedliche westdeutsche Blickwinkel auf Berlin

VON HANNAH PILARCZYK

„Selbst an der Uni in Bielefeld musste man mir gegenüber erwähnen, dass ich auffällige silberne Turnschuhe trage. Und in der Innenstadt sind tagsüber fast nur Frauen und alte Männer anzutreffen“, sagt Mercedes Bunz, die neue Chefredakteurin der zitty, eher verwundert als irritiert. „München fand ich ganz toll. Diese Gediegenheit und Dörflichkeit, das war eine angenehme Gegenerfahrung zu Berlin“, sagt Heiko Zwirner, der neue Chefredakteur des tip, und zeigt sein seltenes, aber überraschend lustiges Lächeln.

So erzählen die Chefs der zwei größten Stadtmagazine Berlins von ihren letzten Wohnorten. Und indirekt auch von Berlin. Die neue Hauptstadt als Fluchtmöglichkeit vor der geistigen Enge Westdeutschlands. Oder als Ort, an dem die Erosion von Bürgerlichkeit so unmittelbar zu spüren ist. Bunz und Zwirner stehen für zwei unterschiedliche westdeutsche Blickwinkel auf Berlin. Sie stehen aber auch für zwei unterschiedliche Auffassungen darüber, was man mit einer Zeitschrift in dieser Stadt machen kann.

Zwei Begegnungen. Mercedes Bunz schlägt als Treffpunkt das französische Lokal Entrecote in der Jägerstraße vor. Sie recherchiert gerade für die Titelgeschichte des zweiten zitty-Heftes unter ihrer Führung: „Wir machen Urlaub. Ein Tag Frankreich, Türkei, USA und mehr“, heißt sie, und Bunz will einen Text über eine französische Tagestour schreiben. Da passt es, sich zu elsässischem Riesling und Salat mit korsischem Schafskäse zu treffen. Als wir uns setzen, stellt Bunz einen Stoffbeutel mit Louis-Vuitton-Logo auf einem freien Stuhl ab. Im neuen Heft wird sie dann schreiben, dass der Stoffbeutel „das Accessoire des Sommers“ sei, ein Trend, den ein „findiger Friedrichshainer“ mit einem Beutel mit Louis-Vuitton-Logo losgetreten habe.

Seit 1. Juli ist Bunz die erste Frau an der Spitze der zitty. Im Winter hatte sie der damalige Chefredakteur Matthias Kalle gefragt, ob sie sich vorstellen könne, seinen Job zu übernehmen. Bunz pendelt seit 1991, als sie zum Philosophie- und Kunstgeschichtsstudium nach Berlin kam, zwischen Journalismus und Wissenschaft. Knapp drei Jahre lang, von 1999 bis 2001, arbeitet sie bei der von ihr mitbegründeten De:Bug, der Zeitschrift für elektronische Lebensaspekte, als Chefredakteurin, promoviert dann aber in Weimar über die „Erfindung des Internet“. Danach schlägt sich die gebürtige Fränkin ein Jahr als freie Autorin herum, „prekäres Arbeitsleben als freie Journalistin“, fasst sie diese Zeit auf ihrem Blog www.mercedes-bunz.de zusammen.

Eine Erfahrung, die die 34-Jährige auch in ihren viel beachteten „Urbane Penner“-Text, einer zitty-Titelgeschichte aus dem Januar über gut ausgebildete Schlechtverdienende, einfließen lässt. Dann doch wieder Wissenschaft, diesmal als Dozentin an der Uni Bielefeld. Und jetzt, kein Jahr später, noch einmal Journalismus? Als die Möglichkeit im Raum steht, lässt sich Bunz das Angebot einige Wochen durch den Kopf gehen und entscheidet sich dann gegen die Uni: Weil die „katastrophal kaputt gespart“ sei und das „Frischeste auch heute noch Texte von 70-jährigen Männern seien, die mit Foucault oder Derrida befreundet gewesen waren“. Sie schickt eine SMS an Kalle: „OK, ich überleg’s mir.“

Wenn Bunz jetzt von ihren Plänen für die zitty erzählt, klingt das ungleich enthusiastischer. „Wir sind das Hauptstadtmagazin!“, sagt sie und stellt sich damit hinter das Konzept von Vorgänger Kalle, der die zitty durch seinen Hang zum Zeitgeist und Anspruch auf Überregionalität entscheidend modernisierte. Daran will sie nichts Grundlegendes ändern, wohl aber mehr Mode, Design und technische Gadgets ins Heft bringen. Wer Bunz’ kluge Texte aus der De:Bug kennt, weiß, dass sie damit nicht einfache Kaufempfehlungen meint, sondern vielmehr Technikfolgenabschätzung im wahrsten Sinne des Wortes. Dennoch die Nachfrage: Mode, Design, Gadgets – sind das nicht Themen, denen man sehr leicht das dämliche Label „frauenaffin“; verpassen kann? Bunz verneint entschieden. Zum einen will sie das Featuren von Berliner Designern und Modemachern vor allem als Abgrenzung zu den großen Ladenketten verstanden wissen. Zum anderen lehnt sie „angegenderte“ Themen ab: „Meine journalistische Kernkompetenz waren früher elektronische Musik und Computer, eine klassische Frauenschreiberin bin ich wohl nicht.“ Im Impressum lässt sie sich auf ihren ausdrücklichen Wunsch auch nicht als Chefredakteurin, sondern als „Chefredakteur“ führen.

Wie das zusammenpasst, wenn man, wie Bunz, viel über die Schaffung und Verfestigung von Machtstrukturen durch Sprache redet, kriege ich während unseres Gespräches nicht geklärt. Dafür kommen wir auf Politik zu sprechen, speziell den politischen Anspruch der zitty, den sie bejaht. Dennoch schränkt sie ein, dass sie heute nicht mehr an den „klassischen Aufdeckungsjournalismus“ glaube: „Politisch ist für mich nicht nur da, wo es um Arme und Entrechtete geht. Es geht darüber hinaus.“

Will heißen: Politische Entwicklungen wie etwa die Verarmung der Mittelschicht – siehe „urbane Penner“ – lassen sich auch schon im unmittelbaren Umfeld beobachten. Auch wenn sich bei Bunz einiges widersprüchlich darstellt – es macht Spaß, mit ihr über Politik und politischen Journalismus zu sprechen.

Daran erinnere ich mich, als ich eine Woche später mit Heiko Zwirner bei Wasser und Cola in der Kantine des Berliner Verlags sitze und ihn auf mögliche inhaltliche Veränderungen beim tip anspreche. Da redet Zwirner nämlich erst einmal darüber, dass die „Service-Orientierung“ des tip bestehen bleibe, man am Konzept der „Mini-tips“, also der auf dem Titelblatt angeklebten Kleinstmagazine, festhalte, dass er an der Qualität der Texte arbeiten wolle, personalisiertere Texte und längere Titelgeschichten anstrebe. Und politische Themen? „Finden auch statt“, befindet Zwirner knapp. Und das tun sie: Zur WM brachte der tip eine lesenwerte Geschichte über No-go-Areas in der Stadt, in der kommenden Ausgabe will man mit einer Titelgeschichte zu Klaus Wowereit in den Wahlkampf ums Berliner Abgeordnetenhaus einsteigen. Zwirner hat nur keine Lust, sich das Politische auf die Fahne zu schreiben: „Stadtmagazine sind aber vor allem eine Hilfestellung, um das Kulturangebot der Stadt zu nutzen. Da habe ich nicht den Anspruch, das Genre neu zu erfinden.“ Tatsächlich hat Zwirner schon mal ein neues Heft für Berlin quasi miterfunden: nämlich das Techno-Magazin Flyer. Seit 1996 in Berlin, ist Zwirners Zeit in der Hauptstadt vor allem durch seine Arbeit als Chefredakteur beim Flyer geprägt. Nach acht Jahren Berlin reicht es ihm aber und er nimmt das Angebot der jetzt:netz-Agentur, dem Überbleibsel des eingestellten jetzt-Magazins, das sich zum äußerst erfolgreichen Produzenten von Kundenzeitschriften entwickelt hat, an. Aber auch in München ist Zwirner wieder mit der Entwicklung eines Berlin-Magazins beschäftigt. „Berlin – Das Magazin aus der Hauptstadt“ heißt es und ist eine Auftragsarbeit für die Marketing-Initiative Partner für Berlin.

Nicht ganz überraschend also, als Zwirner nach zwei Jahren München der Anruf eines Headhunters erreicht: Ob er sich vorstellen könne, die Leitung eines Magazins in einem Ballungsraum zu übernehmen? „Da war mir klar, was gemeint war“, so Zwirner. Es ist Dezember 2005 und der bisherige Chefredakteur des tip, Karl Hermann, hat angesichts der Spar- und Umstrukturierungspläne der neuen Besitzer des Berliner Verlags, der Finanzinvestorengruppe um David Montgomery, entnervt das Handtuch geworfen.

Doch es sind nicht die unverhältnismäßigen Rendite-Erwartungen von Montgomery und Co., die Zwirner kurz überlegen lassen, ob er das Angebot annehmen soll: „Ich habe doch nach dem Flyer auch knapp zwei Jahre bei der zitty gearbeitet – da war der tip die direkte Konkurrenz, zu der man sich abgrenzen musste.“ Am Ende zieht es Zwirner zurück nach Berlin, auch aus familiären Gründen: Er hat einen 8-jährigen Sohn, den er bislang nur an den Wochenenden sehen konnte. Seit April ist Zwirner nun Chefredakteur des tip, und so langsam sieht man dies dem Heft an. Auf der letzten Seite findet sich zum Beispiel nun immer ein Porträt. Die größte Baustelle ist aber das Layout: „Unsere Optik ist zehn Jahre alt“, urteilt der Chef, der mit seinen 34 Jahren genau so alt wie das Heft selber ist, und kann sehr genau erklären, wie er sich das künftige Zusammenspiel von Typografie, Fotos und Anzeigen vorstellt.

Nach den Treffen mit Bunz und Zwirner bin ich irritiert: Hier der Pragmatiker, der vor allem auf eine verbesserte Optik setzt, dort die Leidenschaftliche, die am Sound feilt? Eigentlich klingt es bei beiden eher danach, als würde bei tip und zitty vieles beim Alten bleiben und sich die Magazine vor allem in Stilfragen unterscheiden.

Also eine Stilfrage zum Schluss: Was ist euer Lieblingsort in Berlin? Mercedes Bunz überlegt länger, will den Ort dann aber doch nicht in der Zeitung lesen: „Ist nämlich nur halb legal.“ Auch Zwirner überlegt länger, schaut zum Fenster heraus auf den regnerischen Alexanderplatz und sagt dann zunächst, dass er die Mischung von ostigem Alex und dem „Lifestyledorf“, zu dem sich das Gebiet um die Münzstraße hin gewandelt habe, toll fände. Er überlegt noch einen Augenblick und sagt dann: „Das 103 in der Kastanienallee finde ich nach wie vor super.“