Das Wissen um die Dinge

Von der Klugundeinfachheit der Amerikanermenschen: Tom Pettys aktuelle CD „Highway Companion“ zeigt ihn als vitalen Klassiker mit genauem Sensorium

Als ich Tom Petty das erste Mal sah – es war die Fernsehaufzeichnung eines Konzerts der Band Tom Petty and the Heartbreakers –, stand da ein schmaler, ja schmächtiger Mann mit Gitarre am Mikrofon, weißblond, fahl und so mager, dass ich glaubte, ihn auf der flachen Hand wegtragen zu können. Die Augen hatte er zusammengekniffen, er sah aus wie ein bekifftes Kaninchen. Dann fing der Mann an zu singen: „It’s allright if you love me, it’s allright if you don’t …“ Es folgte eine unglaublich langsame, laszive Version von „Hit the road, Jack, and don’t you come back, no more, no more, no more, no more …“ – ein genussvoll ausgebreitetes „Tschüssikowski!“. Seitdem habe ich Tom Petty nie wieder unterschätzt.

Petty zeigt echte Größe. Als er selbst schon ein Star war, ein Fixstern, an dem sich Menschen orientieren, arbeitete er hingebungsvoll für den sagenhaftesten Mann seiner Branche. Auf „Unchained“ von Johnny Cash, dem zweiten der „American Recordings“-Alben, mit denen der Produzent Rick Rubin den Altersruhm von Cash begründete, sind Petty und seine Band als ebenso feine wie kraftvolle Begleiter zu hören. Zwei der stärksten Songs, die Cash adaptierte, stammen von Tom Petty: „Southern Accent“ und „I won’t back down“.

Auch der zweiten festen Größe der amerikanischen Populärkultur und -mythologie ist Tom Petty fest verbunden: Mit Bob Dylan spielte er nicht nur in der allen Jungspunden eine Harke zeigende Straßenfegerband The Travelling Wilburys zusammen – Petty klingt auch oft wie ein jüngerer, modernisierter Dylan. Auf seiner neuen CD „Highway Companion“ hat er seinem großen Kollegen mindestens ein Denkmal gesetzt: Pettys „Down South“ hört sich, garantiert mit voller Absicht, an wie „Love Minus Zero/No Limits“, eines der schönsten Liebeslieder von Bob Dylan.

Aus den Zeiten der Travelling Wilburys ist die Zusammenarbeit mit Jeff Lynne geblieben, dem früheren Kopf des Electric Light Orchestra. Lynne hat das Album „Highway Companion“ für Petty produziert und es im Duett mit Petty eingespielt. Nur Mike Campbell wurde als Sologitarrist noch hinzugeholt – alle anderen Instrumente spielen Petty und Lynne. Warum Gastmusiker heranschleppen, wenn man selbst der beste Mann ist für seine eigene Musik?

Der zarte, mittlerweile fast papieren aussehende Petty erweist sich als äußerst rüder, krachscheppernder, federnder und metronomgenauer Schlagzeuger. Die hymnischen Gitarrencrescendi, die den Sound von Tom Petty prägen und ausmachen, sind auch auf „Highway Companion“ zu hören, frisch und elektrisierend. Petty öffnet mit ihnen den Blick für seine weite Welt – auf ein Amerika, das es wohl nur in Herz und Geist großer, Walt Whitmans und Henry David Thoreaus Klugundeinfachheit sehr nahe kommender Amerikanermenschen gibt.

Tom Petty ist, ohne sich als solcher zu stilisieren, ein Klassiker, eine der großen amerikanischen Säulen, eines der Eigengewächse, wie sie ausschließlich in den USA denkbar und möglich sind. Dylan ist so etwas, Neil Young, Lou Reed, Tom Waits auf seine ganz andere Weise, und Johnny Cash war so einer. Es scheint nur logisch, dass Tom Pettys „Highway Companion“ auf Rick Rubins „American“-Label erscheint.

Mit „Ankle Deep“ liefert Tom Petty sogar eine kleine Remineszenz an R.E.M. – deren Sänger Michael Stipe sich glücklich schätzen kann: Von Petty aufgesogen worden zu sein, das muss sich beinahe so gut anfühlen wie Cindy Laupers Glück, als Miles Davis ihr Liebeslied „Time after Time“ coverte.

Neben allem seinem das Tor zur Welt fröhlich, forsch und munter auftretenden Rock ’n’ Roll hat Tom Petty auch eine leise Seite, mit der er zeigt, dass er nicht zur stupiden Geradeausvariante Mensch gehört, sondern im Gegenteil ein empfindsames, genaues Sensorium hat für das, was sich im einzelnen Innern dieser astreinen freien Welt abspielt. „It took a world of trouble / It took a world of tears / It took a long time to get back here“, heißt es in „Square One“. Ohne dieses Stück wäre „Highway Companion“ ein sehr gutes Album – mit diesem i-Tupf des Wissens um die Dinge ist es ein großes.

WIGLAF DROSTE

Tom Petty: „Highway Companion“ American Recordings