Die ehemalige Freundin

Eine nicht enden wollende Trennung mit Sex, Tanz und einem DVD-Player

Zu meiner Überraschung nahm sie meinen Trennungswunsch ohne große Widerstände an

Am Anfang stand die Trennung. Vier Jahre lang hatten Nadja und ich zusammengelebt. Es war nicht so, dass ich Nadja nicht mehr liebte. Aber eine Beziehung ist zu Ende, wenn man anfängt, sich mit einem DVD-Player zu bewerfen. Nadja hat das nicht so gestört. Aber es war ja auch nicht ihr DVD-Player, sondern meiner. Oder genauer gesagt, der von meinem Freund Bernd. Seitdem weiß ich, dass es eine Männerfreundschaft stark belasten kann, wenn man einen ausgeliehenen DVD-Player zurückgibt und die Progressive-Scan-Funktion lässt sich nur noch manuell einstellen. Zu meiner Überraschung nahm Nadja meinen Trennungswunsch ohne große Widerstände an. Später saß ich nachdenklich in meinem Zimmer und schrieb mein erstes Gedicht: „Einsamkeit eines sehr kleinen Zebras an einem Novembermontag mit Dauerregen direkt von vorn“.

Ein halbes Jahr nach unserer Trennung trafen wir uns das erste Mal wieder. Etwas unbeholfen saß ich Nadja in einem Café gegenüber. Das Café lag direkt neben einem Fitnesscenter und für einen Moment befürchtete ich, Nadja käme aus einem Kurs für Selbstverteidigung. Aber die Sorge war unbegründet, und der Abend ging vorüber, ohne dass ich die Schlagkraft ihrer Handtasche kennen lernen musste. Wahrscheinlich war es auch ein Vorteil, dass ich Bernds DVD-Player zu Hause gelassen hatte. Nadja zeigte sich ausgesprochen freundlich, ja aufgekratzt. Ein schöner Abend. „Ich bin bereit, total bereit, für eine Nacht voll intensiver Zweisamkeit“, reimte ich innerlich. Dann verabschiedeten wir uns voneinander.

Nach diesem Abend trafen wir uns wieder regelmäßiger. „Es ist schön, dich als Freundin zu haben“, sagte ich irgendwann. Der Satz passte. Es war genau das, was ich sagen wollte. Nur Nadja passte der Satz nicht. Später schrieb ich ein Sonett mit dem Titel: „Das Leben ist ein Zwischenergebnis. Es wird nicht besser, wenn man dauernd Eigentore schießt“.

Beim nächsten Treffen berichtete sie mir von ihrem neuen Freund. Er hieß Martin. Beide hatten sich relativ bald nach unserer Trennung kennen gelernt, seit einiger Zeit waren sie ein Paar. Ich wunderte mich etwas, wie schnell die beiden zueinander gefunden hatten, wie schnell Trennung und Trauer vergessen waren. Aber ich sagte nichts. Nur innerlich stimmte ich ein Lied an: „Das Hinterher macht das Vorher noch schlimmer“. Nadja schlug vor, dass wir uns alle mal treffen sollten. Ich wusste, dass es einen Moment gegeben hatte, in dem ich die Beziehung endgültig hätte beenden müssen. Jetzt wusste ich, dass ich diesen Moment verpasst hatte.

Martin wirkte viel entspannter, ruhiger und vor allem zurückhaltender als ich. In Momenten, in denen ich sofort wütend geworden wäre, reagierte er ausgleichend und verständnisvoll. Fast hätte ich ihn als zuvorkommend bezeichnet. Nadja schien glücklich. „In der Tretmühle deiner Zärtlichkeit werde ich zur Nuss der Zufriedenheit“, dachte ich trotzig. Dann verließ ich die beiden und ging zu Bernd.

Mit der Zeit traf ich mich nicht nur mit Nadja, jetzt war auch immer Martin dabei. Einmal verbrachten wir einen gemeinsamen Kinoabend und gingen anschließend noch zu mir nach Hause. Im Laufe des Abends erzählten sie, dass sie Tanzstunden nehmen würden. Ich gestand, mich nicht damit auszukennen, was sie als Aufforderung verstanden, mir etwas vorzuführen. Es war grausam. Ihre Bewegungen waren unbeholfen, unharmonisch, steif, man konnte sich kaum vorstellen, dass sie sich einmal rhythmisch zum Klang der Musik bewegen würden. Trotzdem versuchten sie es weiter, ohne dass sich groß etwas änderte. „Jeder kann es sehen, Tanzen ist Sex im Stehen!“, sang ich plötzlich und klatschte in die Hände.

Mir war im Moment, als ich es von mir gab, gar nicht bewusst, welche Bedeutung dieses Lied haben könnte. Aber es hatte eine ungeheure Bedeutung. Die beiden erstarrten in ihren Bewegungen, ich verstummte. Das Ganze wirkte jetzt, als hätten sie mir gerade tanzend ihr gemeinsames Liebesleben offenbart: Alles Sehnen, alle Verlegenheit, alle Enttäuschung. Noch immer wagte keiner, sich zu bewegen. Erst nach schier endloser Zeit lösten die beiden ihre erstarrte Haltung, setzen sich in die Sessel und sahen still vor sich hin, jeder in eine andere Richtung. Dann machte ich eine unbeholfene Handbewegung und stieß Bernds DVD-Player vom Tisch.

JAN ULLRICH