Alles wird in Fetzen sein

In Zeiten von Krieg und Terror haben die drastischen Genres einen größeren Zugriff auf die Wirklichkeit als alle anderen Medien: Das „Fantasy Filmfest“ am Potsdamer Platz liefert mit aktuellen Horror-Produktionen den expliziten Beweis

VON DIETMAR KAMMERER

Soll die Mattscheibe doch mit ihrem Reality-TV versuchen, der Wirklichkeit hinterherzuhecheln. Der wahre Realitätssinn breitet sich auf den Leinwänden sowieso im Gewand des Fantastischen aus. In Zeiten von Kriegstoten, Bombenterror und Enthauptungsvideos erlebt das aktuelle Horrorkino bereits seit ein paar Jahren eine Renaissance der Drastik: Die Protagonisten von Filmen wie „Saw“, „Wolf Creek“ oder „The Hills Have Eyes“ werden mit sadistischem Vergnügen und ohne Umschweife mit Wahnsinn, Folter und ihren eigenen Gedärmen konfrontiert. Vergessen sind die ironischen Genrespielereien der Neunzigerjahre. Jetzt geht es nicht länger um cooles Filmzitate-Wissen, sondern ums nackte Überleben, im besten Fall gepaart mit einem mehr oder weniger expliziten Kommentar auf den politischen Stand der Dinge.

Auch das morgen anlaufende „Fantasy Filmfest“ spiegelt diesen Trend zum Splatter. Und lässt ihn sinnfällig werden als beherzten Zugriff auf eine oft schier unerträgliche Wirklichkeit – man möchte fast sagen, auf mittelfristige Sicht könnte die Umbenennung des Festivals in „Reality Filmfest“ angedacht werden. Im Eröffnungsfilm „Severance“, einer britischen Produktion unter der Regie von Christopher Smith, müssen die Mitarbeiter einer internationalen Rüstungsfirma erkennen, dass der Balkankrieg gar nicht mit High-Tech-Waffen geführt wurde. Während eines Betriebsausflugs in eine einsame Waldhütte geraten sie unversehens auf die Abschlussliste einer Gruppe ehemaliger Söldner, die ihnen mehr als deutlich machen, dass Landminen, Fußangeln, Äxte und Schrotflinten auch im 21. Jahrhundert noch äußerst effektive Mittel zum systematischen Abschlachten darstellen. Hier treffen Globalisierung und New Economy auf ihre schmutzige Unterseite, auf Fremdenfeindlichkeit und die Müllhalden der Zivilisation.

Auch andere Beiträge des Festivals machen kurzen Prozess mit der Romantik des Landlebens. Ob „Wild Country“, „The Woods“ oder „Wilderness“: Schon die Titel verraten, dass man sich besser nicht nach draußen, in die Einsamkeit der Wälder verirren sollte, wo es nicht einmal mehr anständigen Handy-Empfang gibt. Ein heruntergekommener irischer Bauernhof wird in „Isolation“ zur Brutstätte des mutierten Schreckens: Hier werden sämtliche Lebensmittel-Ängste von Rinderwahnsinn bis zu den glitschigen Folgen der Gentechnik durchgespielt, und wer schon einen unkomplizierten Geburtsvorgang für eklig hält, sollte sich diesen Film besser nicht ansehen. Eine Mountainbike-Tour durch die Tiroler Berge entwickelt sich zu einem Kammerspiel des Schreckens in „Blood Trails“, der Segeltörn auf einer Luxusjacht endet für die meisten Beteiligen tödlich in „Adrift – Open Water 2“.

Die beiden zuletzt genannten Filme sind übrigens deutsche Produktionen, gedreht von deutschen Regisseuren, aber mit einer englischsprachigen Besetzung. Auch auf diese Weise beweist das Horror-Genre echten Realitätssinn: Die weltweite Vermarktbarkeit dieser Mittel- bis Low-Budget-Produktionen wird von vornherein eingeplant, und einen Etat für nachträgliche Synchronisierungen spart man sich einfach. Den Zusatz „international“ trägt das Fantasy Filmfest aber auch aus anderen Gründen nicht zu Unrecht: Die Festivalmacher haben Produktionen aus 22 Ländern, von Venezuela über Dänemark bis Japan organisiert.

Im „Focus Asia“ laufen sowohl neue Filme als auch veritable Klassiker des fernöstlichen Kino-Trashs. Das Filmland Südkorea zeigt seine ungebrochene Innovationskraft: „Shadowless Sword“ von Mu-Yeong Gum ist ein Martial-Arts-Kostümfilm in bekannt prächtiger Ausstattung und berückend schön gefilmt – nur, wenn die Gegner dank spezieller Kampftechniken immer buchstäblich in Fetzen fliegen, wird man daran erinnert, eben doch in einem Programm zu sitzen, das von bekennenden Freunden des Splatter zusammengestellt worden ist.

Einen der Höhepunkte des Festivals stellt zweifellos Richard Linklaters „A Scanner Darkly“ dar. Keanu Reeves spielt darin einen Drogenpolizisten in einer Zukunft, in der der Krieg gegen Drogen paranoide Zustände angenommen hat. Was Homeland Security in wenigen Jahren bedeuten könnte, kann man sich in diesem Film, der auf einer dreißig Jahre alten Vorlage von Philip K. Dick basiert, schon mal heute ansehen. Post-9-11-Traumata verhandelt ebenfalls „Right at your Door“: Nach einem Chemie-Terroranschlag wird Los Angeles zum Tummelplatz bewaffneter Militärs, die Jagd auf Zivilisten machen. Kein besserer Platz in diesem heißen Sommer, als auf dem Fantasy Filmfest das Frösteln zu lernen. Man erfährt zumindest mehr über aktuelle Weltpolitik als bei Oliver Stone.

Fantasy Filmfest – Internationales Festival für Science-Fiction, Horror und Thriller, bis 16. 8. Cinemaxx am Potsdamer Platz. Infos: www.fantasyfilmfest.com