Agitprop aus Bollywood

„Rang de Basanti – Die Farbe Safran“ von Rakesh Omprakash Mehra

Bollywood boomt gerade in Westeuropa. Die für unsere Augen oft surreal wirkenden Kitschorgien befriedigen offensichtlich ein Bedürfnis nach Rührstücken, und die meist weiblichen Fans halten die indischen Kinoproduktionen für eine einzige große „Indian Love Story“ (so der programmatische Titel einer dieser Schnulzen). Aber Bollywood ist kein Genre sondern eine Industrie, die auch ganz andere Filme herstellt, und wenn diese die Erwartungen des hiesigen Publikums enttäuschen, werden einige harmoniesüchtige KinogängerInnen schnell ungehalten. So gab es im Kino 46 vor einigen Wochen bittere Klagen über den Film „Family – Ties of Blood“, der mit den gewohnten Liebeleien und Tanznummern begann, sich dann aber in eine düstere und gewalttätige Räuberpistole entwickelte. Statt des paradiesischen Happy-Ends gab es Blutstropfen auf den Saris. All jene, die sich indische Filme nur ansehen, weil darin schöne Menschen zu schöner Musik schöne Dinge tun, muss man nun auch vor „Rang de Basanti“ von Rakesh Omprakash Mehra warnen, denn trotz des deutschen Verleihtitels „Die Farbe Safran“ ist dies alles andere als ein harmloser Liebesfilm.

Andererseits wurde er schon mit einem Seitenblick auf den westlichen Kinomarkt konzipiert, denn er wird aus der Perspektive einer europäischen Protagonistin erzählt, die zudem noch der Schauspielerin Calista Flockhart, also dem Rollenmodell Ally McBeal, verdächtig ähnlich sieht. Der Großvater dieser blonden, nervösen und herzensguten Britin war als Polizist in Indien stationiert und lernte dort in den 20er und 30er Jahren die Helden der Unabhängigkeitsbewegung kennen. In einem Tagebuch schildert er ihren Mut, seine Enkelin will unbedingt einen Film über sie machen. Sie reist nach Delhi, und sucht nach Laiendarstellern, die die Rebellen von einst spielen sollen. Sie findet die Idealbesetzung in einer Gruppe von befreundeten Studenten, zu denen auch ein strenggläubiger Moslem und ein fundamentalistischer Hindu gehören. Mit ihnen inszeniert sie die historischen Vorkommnisse nach, aber langsam werden die Parallelen zwischen den Darstellern und den Figuren, die sie verkörpern, immer deutlicher, bis auch sie sich bewaffnet gegen das korrupte System stellen, und für die Freiheit ihres Landes ihr Leben opfern.

Diese Erzählkonstruktion, bei der die zeitgenössischen Darsteller einer historischen Fiktion diese jeweils kommentieren und spiegeln, ist seit John Fowles’ Roman „Die Geliebte des französischen Leutnants“ ein beliebtes Spielzeug der Postmoderne. Aber während sie dort eingesetzt wird, um Distanz zu schaffen, und die narrativen Konventionen in Frage zu stellen, wird in diesem indischen Unterhaltungsfilm interessanterweise genau das Gegenteil angestrebt. Die Darsteller werden auf eine fast mystische Art und Weise, die filmisch durch Überblendungen und suggestiven Montagen verstärkt wird, zu Wiedergeburten der revolutionären Helden. Wie jene gegen die britischen Besatzer kämpften, indem sie die leitenden Offiziere töteten und Züge überfielen, bringen diese, nachdem ein mit ihnen befreundeter Pilot bei einem Flugzeugabsturz stirbt, der durch korrupte Politiker verursacht wurde, zuerst den verantwortlichen Minister um und besetzten dann eine Radiostation, von der aus ihr heldenhafter Widerstand und Tod durch die Kugeln der Herrschenden in die Radios von ganz Indien übertragen wird. Das Ergebnis ist ein Unterhaltungsfilm mit einer erstaunlich subversiven Botschaft. Hier werden Terroristen als tragische Helden gefeiert, die glauben, mit Waffengewalt gegen die in Indien allmächtige Korruption kämpfen zu müssen, weil diese eindeutig mit der Unterdrückung durch die Briten gleichgesetzt wird. So viel zur heilen Welt von Bollywood! Wilfried Hippen