Buch als Trailerpark

Vor dem Film ist im Film: Der Sammelband „Das Buch zum Vorspann. The Title is a Shot“ untersucht, was an der Schwelle zum Film passiert

VON EKKEHARD KNÖRER

Der Vorspann gehört zum Film, aber nicht hinein. Er ist die Schwelle, auf der der Film zum Publikum von seiner Entstehung spricht, um dann bis zum Abspann wieder davon zu schweigen. Darum steht der Vorspann auch in einem Spannungsverhältnis zum Film, der ihm folgt. Die Kunst des Vorspanns ist für die Erzählung des Spielfilms, wie es scheint, ohne Belang, eine nur für die Juristen und Macher wichtige Nebensache.

Das stimmt so nicht: Dies ist die unisono vertretene Ansicht aller im Sammelband „Das Buch zum Vorspann“ vertretenen Autoren. Für Rembert Hüser ist der Vorspann sogar die „strukturell intelligenteste Stelle des Films“; er analysiert das in einer genauen Lektüre des Beginns von Jean-Marie Straubs und Danièle Huillets Kafka-Film „Klassenverhältnisse“. Dabei ist in diesem Fall gar nicht viel zu sehen, Schreibmaschinenschriftbild, Verweigerung allen grafischen Spektakels, Ankündigung und zugleich schon Beginn eines Films, der noch in Arbeit ist. Dazu passt Jean-Luc Godards These: „Der Titel ist eine Einstellung.“ Und zwar eine neben anderen, gleichberechtigt, wenn nicht sogar privilegiert durch die Position am Beginn.

Die Mehrzahl der Beiträge gilt dem Vorspann im Hollywood-Film. So Adam Duncan Harris' Bericht aus der Geschichte des „Pacific Title and Art Studio“. Dort wurden in Handarbeit jahrzehntelang Titelsequenzen auf Glasplatten gemalt, und zwar in aller Regel in Unkenntnis des Films. Buchstabenmaler malten Buchstaben und Kunstmaler malten die Hintergründe, die sich nicht in den Vordergrund schieben durften. Die Größe der DarstellerInnen-Namen im Verhältnis zur Größe des Titels war vertraglich genau festgelegt. Und nicht der Regisseur, oft schon mit dem nächsten Film beschäftigt, nickte das Ergebnis ab, sondern der Studiochef.

In den Fünfzigerjahren begann in Hollywood die Zeit der grafisch ausgefeilten Titelsequenzen, am berühmtesten bis heute Saul Bass etwa mit seiner „Vertigo“-Spirale für Alfred Hitchcock und seinen Arbeiten für Otto Preminger. Der Vorspann war nicht mehr das standardisierte Produkt einer Werkstatt, sondern halb autonomer Beitrag eines Künstlers, der Motive des Films abstrahiert, vorwegnimmt und kommentiert. Deborah Allison zeigt in ihrem Beitrag allerdings, dass die schlichte Entgegensetzung von Grafikerkunst und Fließbandprodukten historisch nicht zu halten ist. Einfallsreiche und selbstreflexive Vorspänne gab es auch schon im Hollywood der dreißiger Jahre. Etwa den zu Tay Garnetts „My Man“ von 1930. Die Titel werden in den Sand am Strand gemalt und Welle für Welle wieder ausgelöscht.

„Das Buch zum Vorspann“ besteht nicht nur aus Originalbeiträgen. Es ist eine kluge Entscheidung, auch wichtige Aufsätze und Auszüge aus Standardwerken zum Thema aufzunehmen. So werden auch die Spuren der Theoriegeschichte lesbar. André Gardies Beitrag geht auf die Siebzigerjahre zurück, an seiner ideologiekritischen Haltung zur Realismusillusion wird das deutlich spürbar. Positiv bewertet Gardies den Vorspann, der „die Beweglichkeit des Sinns und das offengelegte Spiel mit dem Schreibvorgang“ herausstellt. Betont wird die Spannung zwischen der Schrift der Titel und dem geschlossenen Raum der Erzählung. Gerade umgekehrt verhält es sich dagegen für Roger Odin, der den Vorspann als eine Art Vorbereitung auf genau diese Schließung versteht, eine letzte Markierung des Übergangs aus der Wirklichkeit vor der Leinwand zum identifikatorisch erlebten Geschehen auf der Leinwand.

Jenseits der ideologischen Präferenzen positioniert sich im abschließenden Aufsatz des Bandes Mitherausgeber Alexander Böhnke. Er beschreibt den Vorspann mit Gérard Genette als paratextuelle Form, die vor allem eines ist: Beobachtung des Films, der folgt. Sehr schöne Beobachtungen dieser Beobachtungen liefern in Einzelanalysen der Filmkomponist Dirk Schaefer, der das Zusammenspiel von Bild und Musik am Beginn von Kathryn Bigelows Film „Blue Steel“ untersucht, und Verena Mund, die zeigt, wie in Filmen über „Working Girls“ die Darstellung von Arbeit im Vorspann ihren Platz hat, um dann im Film selbst umso entschiedener in den Hintergrund gedrängt zu werden.

In Vinzenz Hedigers Überlegungen zum Trailer als antizipierter Erinnerung an den Film kommt der Vorspann eher am Rande vor. Dazu passt freilich, dass Hediger sein Verschwinden diagnostiziert. Seit den Achtzigerjahren werden Hollywood-Vorspänne stark verkürzt, mitunter auf den reinen Titel reduziert, der Rest der Creditnennung findet sich in den Abspann verschoben. Die erzählte Welt, so Hedigers auch für den Trailer gültige These, gewinnt die Oberhand. Des Hinweises auf Studios und Stars bedarf es im Grunde nicht mehr.

Ob dies das letzte Wort der Vorspanngeschichte sein wird, bleibt abzuwarten. Eines ist aber sicher: Wer dieses Buch liest, wird Filme, ihren Anfang vor allem, hinterher mit anderen Augen sehen.

Gregor Stanitzek, Rembert Hüser, Alexander Böhnke (Hg.): „Das Buch zum Vorspann. The Title is a Shot“, Vorwerk 8. Berlin 2006, 184 Seiten, 19 €