Die ganz normalen Vergewaltigungen

Die sexualisierte Gewalt gegen Frauen im Kontext von Kriegen wird bei den aktuellen Ausstellungen über Flucht und Vertreibung kaum erwähnt. Die Frauenrechtsorganisation Medica Mondiale meint, das habe durchaus System

VON HEIDE OESTREICH

Der Streit darüber, wie die Themen Flucht und Vertreibung in die öffentlichen Erinnerung eingehen sollen, ist voll entbrannt. Seit gestern kann man in Berlin die zweite Ausstellung zu diesem Thema besuchen. Neben der materialreichen Schau „Flucht, Vertreibung, Integration“ des Bonner Hauses der Geschichte hat nun das umstrittene Zentrum gegen Vertreibungen seine „Erzwungenen Wege“ eröffnet (Kultur, Seite 20). Hinter der Debatte verschwindet, was die Frauenrechtsorganisation Medica Mondiale jetzt öffentlich anprangert: Massenvergewaltigungen, die Teil der jeweiligen Kriegs- und Vertreibungspolitik sind, werden in den Ausstellungen kaum erwähnt, geschweige denn adäquat ihrer Größenordnung thematisiert.

Das ist in der Tat erstaunlich: Vertrieben werden in Kriegen überwiegend Frauen und Kinder. Forscher schätzen, dass die Alliierten im Sommer 1945 rund 2 Millionen deutsche Frauen systematisch vergewaltigten. In den jugoslawischen Kriegen soll es etwa 20.000 Vergewaltigungen gegeben haben. Doch trotz dieser Dimensionen gehen die Kuratoren der Ausstellung „Flucht, Vertreibung, Integration“ auf das Thema Massenvergewaltigung kaum ein. Monika Hauser von Medica Mondiale erklärte am Donnerstag auf einer Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung zum „Tabuthema“ Vergewaltigung, sie habe die Bonner Kuratoren frühzeitig auf das Versäumnis aufmerksam gemacht. „Es wurde mit einer massiven Hinhalte- und Ausgrenzungstaktik geantwortet“, berichtet sie. Als Argument habe sie etwa gehört: „Wir können doch nicht auf jedes Randthema eingehen.“ Oder: „Wir wollen die Frauen nicht retraumatisieren.“ Bevor die Ausstellung von Bonn nach Berlin ging, wurde schließlich doch geringfügig nachgebessert: Zwei Tagebücher von Frauen werden nun gezeigt. Auf den zugehörigen Täfelchen steht „Martyrium“ und „Frauenschicksal“.

Diese Benennung findet die Kulturwissenschaftlerin Silke Wenk von der Uni Oldenburg symptomatisch: Das Wort Martyrium „sakralisiert die Gewalt von Männern gegen Frauen geradezu“, erläutert sie. Von „Frauenschicksal“ zu reden bedeute, die Vergewaltigungen zu etwas Natürlichem zu erklären, das Frauen im Krieg nun einmal zustoße. „Damit zementiert man das Stereotyp der Frau als Opfer“, kritisiert die Wissenschaftlerin. Gewalt von Männern gegenüber Frauen erscheine als quasi natürliches Frauenschicksal. Vergewaltigungen erhielten so den Anschein von Normalität und seien nur noch schwer als Menschenrechtsverletzung skandalisierbar, meinte Wenk.

Dass nun die Kuratoren aus dem Haus der Geschichte die Vergewaltigungen so ungern explizit darstellen wollten, sei typisch für die öffentliche Behandlung des Themas, finden sowohl die Kulturwissenschaftlerin Wenk als auch die Frauenrechtlerin Hauser. „Es gibt eine verbindende patriarchale Problematik“, so Hauser. Wenn man das Thema ernst nehme, müsse man sich nämlich auch damit auseinandersetzen, warum Männer, kaum stehe eine kriegerische Auseinandersetzung an, meinten, über Frauenkörper verfügen zu können. Man müsse sich auch damit befassen, dass deutsche Soldaten heute im Kosovo in Bordelle gingen, in denen Zwangsprostituierte arbeiten müssen.

Das Thema „Vergewaltigung“ lässt sich allerdings leicht für politische Zwecke instrumentalisieren. In diese Gefahr begibt sich die Ausstellung „Erzwungene Wege“ des Zentrums gegen Vertreibungen, hinter dem der deutsche Bund der Vertriebenen steht. Hier berichtet eine deutsche Zeitzeugin als Hörbeispiel von ihren Vergewaltigungen. Der Frauenverband der Vertriebenen hat 500 weibliche Mitglieder zu ihren Erfahrungen mit der sexualisierten Gewalt befragt. Und nutzt die Geschichten nun auch, um damit den Opferstatus der deutschen Vertriebenen zu zementieren. „Vor Instrumentalisierungen ist man bei diesem Thema nie gefeit“, so Selmin Çaliskan von Medica Mondiale dazu. Wichtig sei der Organisation, dass die patriarchale Struktur hinter den Taten deutlich würde, und die sei auf allen Seiten zu finden.

Doch auch die Frauenrechtlerinnen, die Frauen gerade nicht als Opfer beschrieben sehen wollen, können in die Klischeefalle geraten. So verkauft Medica Mondiale T-Shirts an Frauen, die die Aufschrift „Kriegsbeute“ tragen. Ob die nun dazu angetan sind, Frauen anders denn als Opfer wahrzunehmen, ist fraglich.