„Ein unumkehrbarer Prozess“

Jeder vierte Berliner hat einen Migrationshintergrund. Das belegt erstmals die Bevölkerungsstatistik. Der Integrationsbeauftragte Piening fordert entsprechende Verteilung gesellschaftlicher Ressourcen

INTERVIEW GEREON ASMUTH

taz: Herr Piening, beim Mikrozensus wurden erstmals nicht nur Ausländer erfasst, sondern auch Deutsche mit Migrationshintergrund. 13 Prozent der Berliner sind Ausländer, aber 25 Prozent haben nichtdeutsche Vorfahren. Überraschen Sie diese hohen Zahlen?

Günter Piening: Nein. Mich überrascht eher, welche Überraschung diese Zahlen hervorrufen. Denn zum einen ist der Alltag in Berlin geprägt durch diese Vielfalt. Zum anderen fordern die Integrationsbeauftragten seit langem, dass die Statistik an die Wirklichkeit angepasst wird.

Von den Berliner Jugendlichen haben gar über 40 Prozent einen Migrationshintergrund. Können solche Zahlen alte Ängste vor einer angeblichen Überfremdung wieder beleben?

Im Gegenteil. Zum einen machen die Menschen in den Kiezen und Schulen seit langem die Erfahrung, dass ein Großteil der Kinder und Jugendlichen einen Migrationshintergrund hat. Zweitens geht es nicht um Überfremdung. Es handelt sich schließlich um Berliner und Berlinerinnen, die seit langem hier leben. Ich glaube, die Debatte wird daher sehr positiv sein.

Beim Mikrozensus wurden auch Menschen mitgezählt, deren Großeltern nach Deutschland gezogen sind. Kann man Nachkommen in der dritten Generation noch pauschal unter dem Label Migrant erfassen?

Ich halte das für sehr problematisch. Da besteht ein bisschen die Gefahr, dass es hier nach dem Motto geht: einmal Migrant, immer Migrant. Wir gehen davon aus, dass wir hier in Berlin – dem internationalen Standard entsprechend – nur die zweite Generation erfassen. Der Teufel liegt aber im Detail: Wie definieren wir zum Beispiel ein Kind aus einer binationalen Partnerschaft? Diese statistischen Fragen werden sicher auch ein paar interessante integrationspolitische Debatten auslösen.

Dabei liefern Ihnen die Zahlen neues Argumentationsmaterial. Auf welchem Feld der Politik können Sie damit am ehesten arbeiten?

Auf zwei Feldern. Zum einen zeigt die Statistik in aller Deutlichkeit, dass ein unumkehrbarer Prozess stattgefunden hat, dass wir eine Einwanderungsgesellschaft sind. Das ist ganz wichtig, weil diese Tatsachen von Teilen der Politik immer noch in Frage gestellt werden. Zum zweiten ist sie wichtig als Leitmotiv für die Gleichstellungspolitik in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen. Wenn 40 Prozent der Jugendlichen einen Migrationshintergund haben, stellt sich sofort die Frage: Ist die Verteilung der gesellschaftlichen Ressourcen – etwa bei den Ausbildungsplätzen – ähnlich? Und wenn das nicht der Fall ist, dann sehen wir, wo ein Bedarf besteht gegenzusteuern.

Sollten auch 40 Prozent der Berliner Studierenden einen Migrationshintergrund haben?

Das Berliner Integrationskonzept hat dies zum Ziel. Allerdings wäre es vermessen zu sagen, wir wollen das in zwei Jahren erreichen. Das hängt von zu vielen Faktoren ab, etwa von der Entwicklung des Arbeitsmarktes. Wichtig ist, dass man mit richtigen Zahlen die richtigen Erkenntnisprozesse einleitet.

Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt kann Politik wenig ausrichten. Sehen sie Chancen beim öffentlichen Dienst?

Wir sind zurzeit dabei, mit einer Kampagne und anderen Maßnahmen den Anteil von Jugendlichen mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst zu erhöhen. Aber auch hier stellt sich das Problem, dass wir nur sagen können, wie hoch der Anteil von Ausländern im öffentlichen Dienst ist. Wir können aber nicht sagen, wie viele Menschen mit Migrationshintergrund dort arbeiten.

Das heißt, auch die Berliner Statistiken müssen erst einmal angepasst werden?

Ja. Zurzeit fragt nur die Bildungsverwaltung bei Schülern nach der Herkunftssprache. Ansonsten wird in Berlin, wie überall in der Bundesrepublik, nur die Staatsangehörigkeit erfasst. Der Mikrozensus ist nur ein erster Schritt in die richtige Richtung. Die richtig großen Schritte müssen noch folgen.