Polit-Urlaub in Bremen

Wer macht Ferien in Bremen – noch dazu mit einem Klemmbrett im Arm? Zum Beispiel Katja Kockel und Max Hatzold. Als „Aktionsurlauber“ und Stimmensammler für das Wahlrechts-Volksbegehren

von Armin Simon

Sie wird wiederkommen. Nach Bremen. Weil sie die Welt verbessern will. Und man irgendwo anfangen muss.

„Ich hab das noch nie gemacht“, sagt Katja Kockel. Leute anquatschen, meint sie. Mit dem Klemmbrett auf der Straße stehn, ein Namensschild an der Brust. „Hallo, wir sammeln Unterschriften für das neue Wahlrecht in Bremen“, lautet Kockels Spruch. Er funktioniert gut.

Rund 80 Namen haben sie und ihr Kollege von „Mehr Demokratie“ heute Morgen zusammengebracht, auf dem Ziegenmarkt im Viertel. Ein guter Start, auch im Hinblick auf die Kugel Eis. „Mehr Unterschriften als der beste Bremer Sammler“, hat Kockel gewettet, mit dem besten Bremer Sammler. Der hat mittags auch erst gut 50 Namen beisammen.

Katja Kockel ist 20 und kommt aus dem Brandenburgischen. Oberhavelkreis, nördlich von Berlin. In Postdam hat sie Religionswissenschaft und Philosophie studiert, mehr oder weniger jedenfalls, am Schluss immer weniger. Dann kam der Anruf, bei ihrer Mutter, die schon mit dem „Mehr Demokratie“-Bus durch die Lande getingelt war. Ob sie nicht helfen könne, beim Unterschriften sammeln, will der Anrufer wissen, in Bremen? Wer zusagt, ist nicht die Mutter, sondern ihre Tochter.

Eine Woche ist es zunächst. Sie beginnt an einem Mittwochmorgen mit dem Briefing. Gleich sagen, worum es geht, rät Volksbegehren-Organisator Tim Weber da. Kockel liest sich noch das Flugblatt durch. Dann steht sie in der Stadtbibliothek: „Da ging’s gleich los.“

Vor Monaten hat Kockel mal „überlegt, ob ich in die Politik gehe“. Ein Praktikum im Landtag in Potsdam, bei der PDS-Fraktion, ernüchtert sie. Was zählt, sei nicht die Idee, sondern Koalition und Partei, ist ihre Erfahrung, „und die Partei, der ich vertrauen würde, hat da gar keine Chancen“. Da ist Unterschriften sammeln für ein Volksbegehren schon besser. „Arbeit und Urlaub“, präzisiert Kockel. Mit viel Spaß. Als sie nach ihrer ersten Woche nach Hause fährt, steht bereits fest: Sie würde wiederkommen.

Auch Max Hatzold hat ein Praktikum absolviert, bei einem Abgeordneten. Ob parlamentarische Arbeit das Richtige für ihn ist, bezweifelt er seitdem. Politik und Management studiert der 20-Jährige, in Konstanz am Bodensee, wo seit Jahrzehnten mit Dutzenden von Kreuzchen gewählt wird, sein Praktikum in diesen Ferien sollte „Politik angewandt“ sein, „etwas sinnvolles“. Eine Flüchtlingsorganisation zog er in Erwägung, für die Vereinten Nationen war er zu spät dran. Hatzold landete bei Mehr Demokratie: Erst in München im Büro. Dann, seit Sonntag, in Bremen auf der Straße.

Hatzold hat in Bayern gewohnt, zuvor, wo Volksbegehren und entscheide längst politischer Alltag sind, „eines der wenigen Dinge, die gut sind an der Politik in Bayern“. Im Gegensatz zu der in Bremen. 50.000 Unterschriften müssen es werden, bis zum 18. Oktober, sonst ist der Traum vom Kumulieren und Panaschieren, vom Wählen mit fünf statt mit nur einem Kreuz, erstmal ausgeträumt. Hatzold ist sowas wie Entwicklungshelfer.

Was nicht heißt, dass es ihm leicht fiele. Der Spruch, zum Beispiel: „Haben Sie kurz Zeit?“, hat er zu Anfang immer gefragt. Meist war ein knappes „nee“ die Antwort. Auch mit „Wir sammeln …“ hat er keine gute Erfahrung gemacht. „Die Leute denken gleich, wir wollten Geld“, berichtet er. „Es geht um einen Volksentscheid, hier in Bremen“, sagt Hatzold jetzt: „Das geht besser.“

Ein Dutzend auswärtiger HelferInnen hat Mehr Demokratie mobilisiert, Mitglieder aus anderen Landesverbänden – und Leute wie Hatzold und Kockel. Von 11 bis fünf, oft auch von zehn bis sechs sind sie unterwegs, mal mit, mal ohne Mittagspause, fünf, sechs, bisweilen sogar sieben Tage die Woche. Fahrt, Kost und Logis sind frei. „Aktionsurlauber“ heißen sie offiziell, „ein bisschen euphemistisch“, findet Hatzold. Bis Sonntag ist er noch hier, sein richtiger Urlaub kommt später, „in Paris“.

Kockels zweiter Einsatz dauert bis Ende des Monats, dann muss sie zurück, Familienangelegenheit. Doch die Unterschriftensammlung von Mehr Demokratie läuft noch bis Mitte Oktober. Wird sie ein drittes Mal nach Bremen reisen? „Ich weiß noch nicht“, sagt Kockel. Und fügt hinzu: „Wahrscheinlich.“