„Wir brauchen Wir-eGs statt Ich-AGs“

Selbsthilfe durch Genossenschaften droht in die Vergessenheit zu geraten. Deshalb ist die Novelle des Genossenschaftsrechts richtig. Sie nützt aber wenig, wenn in Schulen nur Profitdenken gelehrt wird, so Christoph Zöpel

taz: Herr Zöpel, warum setzen Sie auf eine überholte Unternehmensform?

Christoph Zöpel: Seit wann sind Genossenschaften überholt?

Vor 75 Jahren gab es 52.500 Genossenschaften in Deutschland. Heute sind es knapp 8.000. Tendenz sinkend.

Das ist vor allem eine Folge von Fusionen, nicht von Insolvenzen. Genossenschaften sind eine sehr stabile und sichere Unternehmensform. Und: Die Zahl der Genossenschaftsmitglieder hat sich in diesen 75 Jahren auf über 20 Millionen verdoppelt.

Trotzdem haben Genossenschaften nicht den besten Ruf.

Das hat mit dem allgemeinen Niedergang der Gemeinwirtschaft zu tun. Die DDR hatte ihre Genossenschaften instrumentalisiert. Der Selbsthilfeansatz wurde diskreditiert, indem er von oben verordnet wurde. In der alten Bundesrepublik war das Problem eher ein hausgemachtes – durch das unrühmliche Ende der Coop und den Skandal um die Neue Heimat.

Das ist aber schon fast 20 Jahre Geschichte.

Auch derzeit gibt es ähnliche Probleme. Durch Fusionen, vor allem von Volksbanken, sind sehr große Genossenschaften entstanden. Als große Wirtschaftsunternehmen haben sie sehr eigene Interessenschwerpunkte.

Was soll das heißen?

Große Genossenschaften sind so anonym, dass sie dem einzelnen Mitglied wenig Anreiz bieten, sich zu engagieren. Die Mitglieder wählen meist nur noch die Vertreterversammlung, die ihrerseits den Aufsichtsrat bestimmt. Die Genossenschaften selbst konzentrieren sich auf Wirtschaftlichkeit und kaum auf den Genossenschaftsgedanken.

Verbessert das geänderte Genossenschaftsgesetz die Lage?

Ja, es ist jetzt einfacher, Genossenschaften zu gründen, und billiger, sie zu führen. Und die eG kann auch im Sozialen und Kulturellen eine Rolle spielen.

Also kann das Gesetz einen neuen Genossenschaftsboom auslösen?

Er ist möglich, aber er erfordert weitere Voraussetzungen. Man muss ja erst mal auf die Idee kommen, eine Genossenschaft zu gründen, und wissen, dass es jetzt relativ einfach geht. Es gibt kaum Unternehmens- oder Gründungsberater, die sich mit Genossenschaften auskennen. Deshalb brauchen wir eine Gründungsagentur für neue Genossenschaften.

Die gab es um 1990 schon einmal. Sie war nicht rentabel.

Aber sie hat erfolgreich gearbeitet. Sie endete, als sie nicht mehr staatlich gefördert wurde. Denn von einer Beratungsagentur für Arme konnte man nicht verlangen, dass sie sich selbst trägt. Heute könnte von der Bundesagentur für Arbeit gefördert werden. Statt der Ich-AG bietet sich die gemeinschaftliche Selbsthilfe in Form der Wir-eGs an.

„Beratungsagentur für Arme“ klingt auch nicht verlockend. Vielleicht sind Genossenschaften mit ihrem Alternativ-Image nicht mehr zeitgemäß?

Im Gegenteil: Die traditionelle Charakterisierung vieler Genossenschaften als „Kinder der Not“ ist hochaktuell. Wenn mit dem Einkommen kein Auskommen ist, bleibt die Genossenschaft ein Weg, durch gemeinschaftliches Wirtschaften die Lebensverhältnisse zu verbessern, gleich, ob es um preiswerten Wohnraum, günstiges Einkaufen oder Arbeitsplätze geht.

Ist das nicht eine sozialromantische Antwort auf die totale Ökonomisierung?

Genossenschaftliches Wirtschaften ist weder Sozialromantik noch eine Absage an die Rechenhaftigkeit. Nur das Hauptziel des Wirtschaftens ist ein anderes: Während der Erfolg einer Kapitalgesellschaft am Gewinn und Börsenkurs gemessen wird, zielt die Genossenschaft darauf ab, für ihre Mitglieder Nutzen zu produzieren. In der Wissensgesellschaft gewinnen Humanressourcen als Produktionsfaktor an Bedeutung. Wo könnte man die Fähigkeiten engagierter Menschen besser nutzen als in solidarischen Genossenschaften?

Was heißt das genau?

Viele neu gegründete Genossenschaften finden sich im Dienstleistungs- oder IT-Bereich. Es lässt sich eine Genossenschaft gründen, um ein EDV-Netz oder eine teure Software zu teilen oder Daten und Verbindungen auszutauschen.

Wieso nutzen das so wenige?

Weil das Wissen über Genossenschaften nicht ausreichend verbreitet ist. Nicht bei Unternehmensberatern, nicht in Schule und Uni.

Aber es gibt doch Lehrstühle zum Genossenschaftswesen.

Das stimmt. Aber es hilft den Schulen nicht. Dort hat das Institut der Deutschen Wirtschaft mit seinem Programm „Junior“ den Unterricht faktisch monopolisiert. Dort lernen die Schüler ein Jahr lang in Schülerfirmen das gewinnorientierte Wirtschaften. Eine Alternative wären genossenschaftliche Schülerfirmen. Einige, wie an der Joseph-Beuys-Gesamtschule in Düsseldorf, gibt es bereits. Das ist ein Anfang.

INTERVIEW: BEATE WILLMS