Diese Seele wandert noch

Ehrfurchtsvoll, konzentriert und direkt ist Jonathan Demmes Konzertfilm „Neil Young: Heart of Gold“

von ANDREAS BUSCHE

Dass Neil Young noch auf der Bühne steht, grenzt an ein Wunder. Durch die Hölle und zurück ist er mehr als einmal gegangen. 40 Jahre Rock-’n’-Roll-Lifestyle haben ihre Spuren hinterlassen: Youngs umfangreiches Gesamtwerk ist auf kaputten Knochen, illegalen Substanzen und verblassten Erinnerungen errichtet. Dieses Leben auf der Überholspur steht Young in Jonathan Demmes Konzertfilm „Neil Young: Heart of Gold“ ins Gesicht geschrieben: Er sieht älter aus als 60 Jahre – älter wahrscheinlich, als er sich hat träumen lassen, als er 1972 im zarten Alter von 26 „I’m getting old“ sang. Man staunte schon damals, woher dieses introvertierte Bürschchen die Weisheit nahm, mit solch einer Traurigkeit von Verlust und Älterwerden zu erzählen. 33 Jahre später steht ein aufgedunsener Neil Young auf der Bühne des Ryman Auditoriums in Nashville und gibt das Bild eines Mannes ab, der die Geschichten seiner Jugend auch körperlich durch- und überlebt hat.

Vor zwei Jahren diagnostizierten Ärzte bei Young, der sich gerade mitten in den Aufnahmen zu „Prairie Wind“ befand, ein gefährliches Gehirn-Aneurysma. Young ließ sich zweimal operieren und kehrte umgehend ins Studio zurück, um die Arbeit an seinem Album zu vollenden. Hier erreichte ihn kurz darauf die Nachricht vom Tod seines Vaters. Unter dem Eindruck dieser Schicksalsschläge geriet „Prairie Wind“ zu einem persönlichen Schlüsselwerk in Youngs wechselhafter Karriere.

“Neil Young: Heart of Gold“, ein Zusammenschnitt der zwei Premierenkonzerte in Nashville, dokumentiert diese Zäsur mit einer Unumstößlichkeit, wie sie nur einem Künstler zuteil werden kann, der im Olymp längst angekommen ist. Von dort oben blickt er mit Unterstützung alter Wegbegleiter (unter anderem seiner Frau Pegi Young) und Mitüberlebender (Ben Keith, Rick Rosas, die Nashville-Legende Spooner Oldham) auf ein verlustreiches Leben zurück. Manchmal droht sich sogar für einen Moment das dünne Stimmchen zu überschlagen, das sich nie mit dem Sängerknaben-gleichen Falsetto eines David Crosby messen konnte, dafür aber Geschichten zu erzählen hatte. Geschichten, die sich nicht bloß aus der beschränkten Wahrnehmung kalifornischer Späthippies oder aus bräsigen Americana speisten, sondern aus einem Erfahrungsschatz, den hunderte von Meilen Seelenwanderung im Laufe der Jahre angehäuft hatten – und für den ein Normalsterblicher wohl mindestens so alt werden müsste, wie Young heute aussieht.

“Heart of Gold“ schüttet diese Weisheit aus vollen Kübeln aus. Demmes formal schnörkelloser Konzertfilm verleiht dem „Old Man“, der Young nun selbst ist, eine autoritäre Aura von Zeitzeugenschaft. In seiner ehrfurchtsvollen Direktheit gelingt es Demme, der bereits mit dem Talking-Heads-Film „Stop Making Sense“ das Prinzip der Reduktion perfektionierte, Young in ein Licht zu rücken, wie es bislang kein Regisseur, auch nicht Young selbst, geschafft hat. Young, der Schmerzensmann, hat seinen inneren Frieden gefunden.

Demme interessiert sich in „Heart of Gold“ ausschließlich für Young und seine Begleitmusiker, die konzentrierte wie spontane Arbeit an der Musik, bei der jeder einzelne Handgriff einem Ritual gleichkommt, während das Publikum im Ryman-Auditorium im Verborgenen bleibt. So wird die Bühne nicht zuletzt durch die ständig wechselnden szenischen Hintergründe zu einem Ort, an dem sich ein Haufen alter Freunde treffen und ihre gemeinsamen Jahre rekapitulieren. Ellen Kuras Licht- und Bildregie trägt wesentlich zu dieser intimen Atmosphäre bei. Die schwarzen Abblenden zwischen den Songs haben fast etwas Bedächtiges, wie das Umschlagen einer Buchseite. Jeder Song wird so auch zu einem Kapitel in Youngs Leben. „Du hast noch ein paar Jahre,“ ruft Pegi Young einmal aufmunternd ihrem Mann zu. Neil Young lächelt und greift wieder in die Saiten.

„Neil Young: Heart of Gold“. Regie: Jonathan Demme. Mit Neil Young, Ben Keith, Wayne Jackson u. a. USA 2006, 103 Min.