Flüchtlingsdrama vor Siziliens Küste

Zwei Boote kentern nahe der Insel Lampedusa, zahlreiche Menschen sind ertrunken. Die näheren Umstände des Bootsunglückes sind noch unklar, jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft. Italiens Innenminister spricht von einem Verbrechen

AUS ROM FILIPPO PROIETTI

Die italienische Mittelmeerinsel Lampedusa ist erneut Schauplatz von Flüchtlingskatastrophen geworden: Beim Untergang eines Bootes nahe der Insel waren in der Nacht zu Samstag möglicherweise bis zu 50 Menschen ertrunken. 10 wurden tot geborgen, 40 Personen wurden gestern noch vermisst, darunter 10 Kinder zwischen 10 und 14 Jahren. Insgesamt 70 Menschen konnten von italienischen Militärs und Küstenwache gerettet werden. Gestern kenterte vor Lampedusa erneut ein Boot mit illegalen Immigranten. Zehn Schiffbrüchige seien von einem Fischerboot gerettet worden, aber bis zu zwanzig wurden am Nachmittag noch gesucht.

Die Umstände des Unglücks vom Samstag sind bislang noch unklar. Die italienische Marine hatte am Morgen um 3.30 Uhr das Fischerboot ungefähr zehn Seemeilen südlich der Insel entdeckt und war ihm gefolgt. Das Schiff näherte sich dem Boot und ließ zwei Rettungsboote zu Wasser. Der Wellengang zwang die Marine jedoch zu einem Ausweichmanöver. Kurz darauf kenterte das Flüchtlingsboot.

Nach Angaben einer überlebenden 26-jährigen Marokkanerin wurde das zehn Meter lange Boot von der Marine gerammt. „Als wir das italienische Schiff gesehen haben, dachten wir, bald in Sicherheit zu sein. Dann gab es einen Aufprall. Alle haben angefangen zu schreien, zu drängeln, und auf eine Seite zu gehen. Dann bin ich ins Wasser gefallen“, sagte die Frau den Behörden.

Die Staatsanwaltschaft von Agrigento hat unterdessen Ermittlungen eingeleitet. Nach Angabe von anderen Überlebenden, der Küstenwache und dem italienischen Militär sei das Boot gekentert, weil hunderte von Flüchtlinge alle auf einmal auf eine Seite des Bootes gerannt seien. Sie hätten geglaubt, dass das Schiff, als es sich entfernt habe, sie habe im Stich lassen wollen.

Das Boot hatte den libanesischen Hafen Al Zuwara am Donnerstag mit dem Ziel Lampedusa verlassen. Die Migranten stammen größtenteils aus Nordafrika, Somalia und Eritrea. Unter den Geretteten sind auch fünf mittlerweile festgenommene Schlepper. Die Überlebenden wurden gestern noch medizinisch betreut. „Viele sind dehydratisiert“ meinte eine Ärztin und fügte hinzu: „Manche sagen, dass sie stundenlang im Wasser auf Hilfe gewartet haben.

„Das ist nicht nur eine Tragödie, sondern ein Verbrechen“, erklärte der italienische Innenminister Amato. „Wenn es uns nicht gelingt, die Kriminellen zu bestrafen, werden sie weitermachen, und die Tragödien werden sich wiederholen“, sagte Amato und rief zum verstärkten Kampf gegen Schlepperbanden auf.

Gestern Morgen erreichten zwei weitere Boote mit insgesamt 93 Migranten an Bord Lampedusa, darunter eine schwangere Frau und zwei Babys. Lampedusa liegt südlich von Sizilien rund 300 Kilometer von der libyschen Küste entfernt. Immer wieder versuchen Migranten von Libyen und Tunesien aus, Sizilien oder Malta zu erreichen. Nach Angaben des Innenministeriums in Rom trafen im ersten Halbjahr 2006 bereits 178 Schiffe mit 10.414 Flüchtlingen an Bord auf Lampedusa ein.