„Raus aus Boheme-Disneyland!“

Steht die Renaissance der Familie wirklich bevor? Jedenfalls ist sie Thema bei jungen RegisseurInnen, die mit ihren Filmen für den First-Steps-Nachwuchspreis nominiert sind. Vier persönliche Ansichten

PROTOKOLLIERT VONSUSANNE LANG

Dietrich Brüggemann, 30, Regisseur

Neun Szenen, Spielfilm, gedreht in neun festen Einstellungen

„Im Kino sehen Beziehungen immer klarer aus als im Leben. Deshalb wollten wir in unserem Film die Realität von Familien so darstellen, wie sie ist: unklar. Jeder versucht seinen Weg zu finden, und keiner weiß genau, ob es gelingen wird.

Dabei gibt es mittlerweile neue Grundmodelle, von denen wir beim Schreiben des Drehbuchs ausgegangen sind: Ein Vater ist autoritär, ein anderer antiautoritär. Eine Mutter ist depressiv, die andere emanzipiert. Einige Eltern leben getrennt, andere zusammen. Aber bei allen gibt es eine gewisse Sehnsucht nach Familie, vor allem bei unseren Helden aus der jungen Generation.

Sie sind wertkonservativer: Aus Abgrenzung zur Vätergeneration sehnt man sich nach Klarheit und Entschiedenheit, kein ‚Vielleicht‘ mehr. Die Figur Rudi zum Beispiel, benannt nach Rudi Dutschke: Sein 68er-Vater hat ihn eigentlich gar nicht erzogen und hätte gerne ein Kumpelverhältnis. Rudis Opa hingegen war autoritär und hält seinen Sohn für einen Looser. Ich glaube, dass Rudi die Chance hat, ein guter Vater zu werden, weil er eben alle Modelle erfahren hat und sein eigenes finden wird.

Ob ich persönlich ein guter Vater wäre, weiß ich nicht. Aber ich will eine Familie. Obwohl die Drehzeit des Films so gesehen etwas Dramatisches hatte: Währenddessen habe ich mich von meiner langjährigen Freundin getrennt, wo alle dachten, wir heiraten jetzt. Tagsüber habe ich gedreht, abends Beziehungssorgengespräche geführt, mich dann getrennt und daraufhin den Monolog des Pfarrers neu geschrieben – ein neues kirchliches Trennungsritual, gewissermaßen das Pendant zum Eheversprechen.

Von unserer eigenen Familie steckt im Film natürlich so einiges drin. Er ist ja auch eine Familienproduktion, das Drehbuch habe ich mit meiner Schwester geschrieben. Das Interesse am Thema Familien und ihre Leichen im Keller entstand unter anderem dadurch, dass wir vor zwei Jahren in Berlin einen Zweig unserer Familie kennengelernt haben, von dem wir zwar wussten, aber keinen daraus kannten. Worauf ich wirklich gespannt bin, ist die Generation der Prenzlauer-Berg-Kinder: Wie sie drauf sein wird in 20 Jahren. Wahrscheinlich werden sie Dinge tun, die ihre Eltern sich nicht träumen lassen: Hauptsache raus aus Boheme-Disneyland.“

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Anna Brüggemann, 25, Drehbuchautorin und Schauspielerin

Neun Szenen, Spielfilm

„Ich persönlich bin ein absoluter Familienmensch, ich will Familie und mag meine sehr – fast schon eine Großfamilie nach heutigen Maßstäben mit vier Kindern. Trotzdem glaube ich, dass Familie ein ziemlich kompliziertes Unternehmen ist. Wenn man Kinder hat, muss man ihnen Geborgenheit geben, gleichzeitig darf man nicht das Gefühl haben, dass die Familie zu sehr einengt, was sie zwangsweise aber immer tut, weil Individuen zusammenleben. Freiheit mit Werten, die verbindlich sind, das ist schwierig zu leben.

Im Gegensatz zu der Rolle der Magdalena, die ich in unserem, Film spiele, bin ich aber meinen Eltern gegenüber sehr tolerant geworden. Sie haben es schließlich auch nur probiert. Magdalena ist noch nicht in dem Stadium. Sie glaubt zu wissen, dass die Ehe ihrer Eltern nicht funktioniert und die Mutter schleunigst gehen sollte. Was sie aber nicht weiß: Ihre Mutter liebt diesen Mann trotz seiner autoritären Haltung.

Es gibt eben immer verschiedene Wahrheiten. Darum ging es mir. Das Problem beginnt, wenn jeder, egal ob jung oder alt, seine Überzeugung, wie das Leben richtig zu leben sei, anderen aufzwingt. In unserem Film geht es um jene Generationenkonflikte, die aus dieser Anspruchshaltung entstehen – und manchmal eben unfreiwillig komisch sind.

Die alternative Mutter, die es immer nur gut meint und sich immer im Recht wähnt, ist genauso anstrengend wie der autoritäre Vater. Ich glaube, es ist für Eltern und Kinder schwieriger geworden. Keiner weiß so genau, wie es richtig ist. Es gibt freilich noch einen verbindlichen Wertekodex, aber es gibt immer mehr Alternativen dazu.“

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Marcus J. Carney, 34, Regisseur

„The End of the Neubacher Project“, Dokumentarfilm

„Lange Zeit war mir mein heikles Familienerbe nicht wirklich bewusst. Über die Verstrickungen und Karrieren meiner Verwandten mütterlicherseits (der Neubachers) während des Nationalsozialismus kannte ich nur Legenden. Erst als ich bei einem Workshop an der Filmhochschule vor acht Jahren auf internationale Studenten getroffen bin, die auch so genannte Bindestrich-Biografien haben – mein Vater ist Amerikaner, meine Mutter Österreicherin –, wurde mir die Dimension klar. In allen ihren Biografien spielte zusätzlich die Erfahrung mit Rassismus eine große Rolle. Ich hatte keine Ahnung, wie ich das bewältigen sollte, bis ich langsam begriffen habe, dass ich jetzt in meinem Abschlussfilm der Familiengeschichte nachgehen muss.

Dass meine Mutter im Laufe des Drehs an Lungenkrebs erkranken würde und ihr Tod das Ende des Films darstellen würde, wusste ich damals noch nicht. Jetzt ist es gewissermaßen ein Film geworden, der mich mit meiner Mutter versöhnt hat. Für sie war es damals ein fast heroischer Befreiungsschritt, aus dieser Nazifamilie auszubrechen, zu studieren und in die USA zu gehen.

Letztlich ist also meine Existenz auch bedingt durch ihre Trauerverstrickung mit der Familie. Trotzdem wurde sie wie von einem Gummiband zurückgezogen nach Wien und ich als Vierjähriger mit ihr. Lange Zeit hatte ich das Gefühl, sie habe mir den Vater vorenthalten. Aber durch den Film kann ich uns absolut als Familieneinheit sehen, meine Identität eher als eine duale begreifen.

Für mein Leben ist Familie auf jeden Fall eine vorstellbare Lebensform, aber in erweitertem Sinne, nicht im bürgerlichen. Mein Film ist ja ein gutes Beispiel dafür, was dagegen spricht. Meine Mutter hat bürgerliche Werte sehr hochgehalten und war sehr katholisch. Mit erweitertem Familienbegriff meine ich nicht-verwandte Beziehungen, die aber von familiären Gefühlen geprägt sind. Ich habe zum Beispiel seit einem Jahr ein Patenkind, dessen Mutter ist eine sehr gute Freundin von mir – das empfinde ich als Familie, für die ich mich verantwortlich fühle.

Es geht ja letztlich darum, eine Form von Aufgehobenheit zu finden, zu der eine gewisse Sicherheit gehört, die ganz wichtig ist. Jeder kommt aus einer Form von Familie, und da gibt es eine Essenz, die da gewesen sein muss, sonst ist es ein großer Kampf, bis man wirklich erwachsen werden kann. Kindheit, glaube ich mittlerweile, dauert sehr viel länger, als mancher denkt. Eine Voraussetzung für die Emanzipation von den Eltern ist, dass man Vater- und Mutterliebe, egal ob in verwandten Verhältnissen oder über Ersatz, erleben kann. Die Abnabelung ist ein Prozess, der bei mir noch im Gange ist. Wenn man so will, war der Film ein Ansatz, ein Befreiungsschlag.“

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André Hörmann, 30, Regisseur

„Atemlos“, Kurzfilm

„Familie gehört heute zu den Erwartungen, die an einen jungen Mann wie unsere Hauptfigur gestellt werden: ein guter Job, ein gutes Auto und eine intakte Familie – und die Frau will natürlich ein Kind haben. An diesen Erwartungen, denen er sich im Film vor allem selbst aussetzt, scheitert er. Ein Grund dafür ist die mangelnde Kommunikation. Er erliegt der gesellschaftlichen Erwartung, er sieht sich aber nicht in der Lage, darüber zu sprechen.

Im Kern dreht sich alles um Versagensangst: Bevor er sein Scheitern vor seiner Frau oder den Eltern eingesteht, bevor er sie loslässt, bringt er sie lieber um. Zugegeben eine krasse Lösung, aber keine unreale. Mit unserem Drehbuch haben wir vor allem auf die Fülle an Zeitungsartikeln reagiert, da gab es eine ganze Reihe von Fällen, in denen ein junger arbeitsloser Mann die Familie umbrachte oder Geld anhäufte mit Bankbetrügereien und in eine ausweglose Lügenfalle kam. Wobei wir kein Psychogramm erstellen wollten, dafür ist ein Kurzfilm zu knapp. Wir wollten ergründen, ob der Kern von dem Schein „perfekter Anlageberater“ leer ist.

Und ich glaube, dass in unserer Konsumgesellschaft Leere entsteht. Denn die Familie ist ja Teil des modernen Glücksversprechens, in Großstädten, nach dem Ende der Großfamilie, sucht man Halt, bevor man vereinsamt und sich als Einzelkämpfer dem Wettbewerb stellt. Kleinstfamilien sind Orte der Zuflucht – für mich zumindest, gerade im Filmgeschäft bin ich froh darum, eine treue Mitstreiterin zu haben. Aber insofern haben sich die Erwartungen an Familien geändert: Beide Partner müssen gleichwertig Verantwortung tragen. Man schlägt sich zusammen durch.“