Wer zu spät kommt …

Eklat in der Bürgerschaft: Die CDU-Fraktion verlässt unter Protest den Saal und verpasst eine Abstimmung. Die CDU-Mehrheit im Ältestenrat lässt die Abstimmung wiederholen

von Marco Carini

Die Hamburger Bürgerschaft ist um eine Posse reicher. Nachdem die CDU-Fraktion den Saal während der Debatte um die Verquickungen zwischen Senat, Ex-Bürgermeister Mario Mettbach und dem Hamburger Osmani-Clan unter Protest verlassen hatte, schaffte sie es zur Abstimmung nicht rechtzeitig zurück. Doch da die stellvertretende Bürgerschaftspräsidentin das offensichtliche Abstimmungsergebnis nicht offiziell festhielt, ließ die CDU erneut abstimmen – mit für sie diesmal passendem Ergebnis.

Es war eine Bemerkung des GAL-Abgeordneten Jens Kerstan, die die CDU am Anfang der Osmani-Debatte zur Flucht veranlasste. Kerstan hatte die Abwesenheit des Bürgermeisters beklagt, der Bundespräsident Horst Köhler auf seiner Hamburg-Visite begleitete und diese als „symptomatisch“ für das Wegtauchens Ole von Beusts in der Diskussion charakterisiert. CDU-Fraktionschef Bernd Reinert ordnete nach dieser von ihm offensichtlich als Majestätsbeleidigung empfundenen Verbal-Attacke seine „Truppen“ und blies zum ungeordneten Rückzug – unter Protest und mit lautem Getöse verließen die CDU-Abgeordneten den Raum.

Wenige Augenkontakte der verbliebenen rot-grünen Abgeordneten später geschah, womit Rückzug-Reinert nicht gerechnet hatte: Kerstan verkürzte seinen Beitrag, der anschließend vorgesehene CDU-Redner war nicht im Saal, die nachfolgenden Abgeordneten von SPD und GAL verzichteten auf ihr Rederecht. Die CDU hatte gerade komplett das Plenum verlassen, da läutete die Bürgerschaftspräsidentin Verena Lappe (GAL) rund eine Stunde früher als erwartet die Abstimmung über zwei Anträge der SPD und der GAL ein.

Als sei in den Fluren ein Feuer ausgebrochen, versuchten die CDU-Parlamentarier den gerade verlassenen Saal rechtzeitig wieder zu bevölkern. Doch auch das größte Gequetsche an den Saaltüren half nichts – etwa fünf bis fünfzehn Abgeordnete verpassten die Abstimmung, in der SPD und GAL nun die überraschende Mehrheit besaßen.

Lappe bekundete zwar die offensichtliche Mehrheit, stellte sie aber nicht formal und damit unrevidierbar fest. Stattdessen berief sie den Ältestenrat des Parlaments ein, das Gremium, das Geschäftsordnungskonflikte klären muss. Hier stellte die CDU-Mehrheit fest, die eigene Fraktion sei während der Abstimmung vollständig im Saal gewesen und setzte gegen den Widerstand von SPD und GAL die Wiederholung der Abstimmung durch. Nun wirklich vollständig versammelt, bügelte die CDU-Fraktion die von SPD und GAL geforderte Vorlage eines Berichts des Senats zur Mettbach-Osmani-Affäre ab.

Für den SPD-Landesvorsitzenden Mathias Petersen ist die Abstimmungs-Wiederholung ein klarer Fall von „Machtmissbrauch“ der CDU, der „einmalig in der Geschichte der Hamburger Bürgerschaft“ sei und „der Demokratie unserer Hansestadt“ schade. SPD-Fraktionschef Michael Neumann warf den CDU-Mitgliedern des Ältestenrates vor, mit „Lügen“ verhindert zu haben, dass „eine klare Mehrheit des Parlaments“ umgesetzt werde.

Die GAL-Fraktionschefin Christa Goetsch verlas die Namen von elf CDU-Abgeordneten, die nach ihrer Beobachtung während der Abstimmung nicht im Saal waren und empfahl diesen: „Die Damen und Herren, die nicht anwesend waren, mögen sich auf Herz und Nieren prüfen, ob sie wirklich da waren.“ Für den CDU-Abgeordneten Karl-Heinz Warnholz war es hingegen „ein einmaliger Vorgang“, dass öffentlich wahrheitswidrig behauptet werde, anwesende Abgeordnete seien abwesend gewesen.

„Ein klarer Beleg, dass wir die von mir geforderte Video-Überwachung der Bürgerschaft wirklich brauchen“, witzelte SPD-Lautsprecher Michael Neumann. Denn die hat Innensenator Udo Nagel ja für alle Kriminalitätsschwerpunkte der Hansestadt in Aussicht gestellt.