Senat macht sich ins Hemd

Nach der Drohung des „Toilettenkönigs“ Hans Wall, seinen Firmensitz nach Hamburg zu verlegen, ist die halbe Stadt in Aufruhr. Der Senat bekniet Wall zu bleiben, dieser motzt, die Opposition auch

VON TIM-NIKLAS KUBACH
UND ULRICH SCHULTE

Die Drohung des Unternehmers Hans Wall, den Sitz seiner Firma nach Hamburg zu verlegen, sorgt für helle Aufregung im Wahlkampf. CDU-Spitzenkandidat Friedbert Pflüger warf dem rot-roten Senat vor, Berlin „einen immensen Schaden“ zugefügt zu haben. „Der Weggang wäre ein fatales Signal.“

Der Senat bekniete derweil den Berliner Toilettenkönig und Stadtmöbelaufsteller, in der Hauptstadt zu bleiben. Der „nachvollziehbare Ärger“ Walls werde sich „nach einer gewissen Zeit“ legen, hofft der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD). Und Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linkspartei) ließ nach einem Krisentreffen mit dem erbosten Unternehmer am Nachmittag mitteilen: „Eine Entscheidung ist noch nicht getroffen.“

Nach Gratis-Kita und durchs Klofenster entflohenen Häftlingen hat Berlin seinen ersten wirklichen Wahlkampfkrimi. Wall hatte öffentlich gedroht, die Berliner Zentrale und das Produktionswerk seiner Firma im brandenburgischen Velten mit 320 Beschäftigten nach Hamburg zu verlagern. Hintergrund ist die Niederlage in einem Bieterwettstreit um die BVG-Tochterfirma VVR-Berek. Die BVG hatte am Mittwoch bekannt gegeben, dass die französische Konkurrenzfirma JC Decaux für 103 Millionen Euro den Zuschlag für die Außenwerbefirma bekommt. Wall konnte nach eigenen Angaben nur 80,5 Millionen bieten.

Die BVG hat durch den harten Kampf beider Konkurrenten für ihr Unternehmen einen ungewöhnlich hohen Preis erzielt. Laut BVG-Geschäftsbericht erzielte die VVR-Berek im vergangenen Jahr einen Gewinn von 6,7 Millionen Euro. Attraktiv sind jedoch Vereinbarungen mit dem Land, nach denen die Firma 3.000 Litfaßsäulen und viele Großflächen auf Straßen unterhält. Auch die VVR-Berek-Werbeflächen auf Bussen und Bahnen hätten gut zur Außenwerbetätigkeit der Wall AG gepasst.

In einer sehenswerten Pressekonferenz machte Wall seinem Ärger gestern Mittag Luft. „Das ist eine Berlin-Vertreibungspolitik und keine Ansiedlungspolitik“, wetterte er in Richtung Senat. Nicht die Qualität des Angebots sei entscheidend gewesen, sondern der Kaufpreis. Auch am Kapitalismus ließ Vorzeigeunternehmer Wall kein gutes Haar. „Immer der Größte bekommt den Zuschlag. Das kann nicht sein.“ Die Wall AG machte 2005 einen Umsatz von 125 Millionen Euro, sie ist weltweit in 60 Großstädten tätig, etwa in Boston, Istanbul und Moskau.

Finanzsenator und BVG-Aufsichtsratschef Thilo Sarrazin (SPD) erklärte gestern vorsorglich noch einmal, wie eine europaweite Ausschreibung funktioniert. Wenn das Land nicht dem besten Angebot, sondern einem lokalen Bieter den Vorzug gebe, „hätte das leicht einen Filzgeruch bekommen können“. Sarrazin weiter: „Wenn Investoren den Eindruck bekämen, sie erhielten keine faire Chance, dann wäre das ganz fatal für den internationalen Ruf Berlins.“

Obwohl er engagiert die beleidigte Leberwurst spielt, relativierte Wall die Wegzugsdrohung bereits selbst. Die Rahmenbedingungen müssten stimmen, so der Unternehmer. Sprich: Nur wenn Wall den Zuschlag für die Außenwerbung an Hamburger Haltestellen erhält, zieht es ihn in die Hansestadt. Dumm für Wall: Auch Hamburg werde eine ordentliche Ausschreibung starten, betonte eine Sprecherin der dortigen Stadtentwicklungsverwaltung. Hans Wall kann im Spätherbst eine Bewerbung schicken.