Normalzeit
: HELMUT HÖGE über Wahlkampfveranstaltungen

„Die Logik des Misslingens“ (Veranstaltungsthema)

Wahlveranstaltungen sind nicht gerade für ihre sprühende Intelligenz berühmt. Um so überraschter war ich vorgestern, dass man eine Wahlveranstaltung auch im Sinne einer nicht-bejahenden Affirmation konzipieren kann. Zu verdanken ist dies den beiden PDSlern Jürgen Kuttner und Thomas Flierl und ihren „biografischen Brüchen“, aber hintergründig natürlich dem ganzen Kommunismus – und seinem, sagen wir, dialektischen Verhältnis zum Staatswesen.

Der Radiomoderator Kuttner und der Kultursenator Flierl, die am Mittwochabend im Kino Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz unter zwei Lampenschirmen vor einer großen weißen Wand saßen, etwas vorlasen und sich dann darüber unterhielten, haben beide Kulturwissenschaft an der Humboldt-Universität studiert. Flierl wurde später als Kulturamtsleiter in den Prenzlauer Berg abgeschoben und ging dann „in die Politik“. Kuttner schob sich nach der Wende eher selbst ab und wurde erst Geschäftsführer der Ost-taz, dann freier Kulturschaffender. Jetzt haben beide schon eine eigene Datsche in Brandenburg erwirtschaftet.

Das Buch, aus dem sie abwechselnd vorlasen – „Logik des Misslingens“ von Dietrich Dörner – handelt davon, dass jede Lösung neue Probleme schafft: „So als würde man ein Auto aus dem Graben ziehen, nur um es auf der anderen Straßenseite in den Graben zu schieben“, so Flierl. Der Autor mache „auf typische Fehler aufmerksam“ – und unterscheide dabei „zwischen den guten Absichten von Leuten und ihren Fähigkeiten“, wobei manchmal Menschen mit „schlechten Absichten“ bei der Wahl ihrer Mittel sogar vorsichtiger seien.

Damit gab Flierl den philosophischen Kammerton vor. Er und Kuttner boten sozusagen Metapolitik. Zum einen mieden sie tunlichst all die scheußlichen „Kommunikationsbegriffe“ – wie Signalwirkung, Feedback, nachhaltig, zögerlich, Pipeline, Agenda, Zeitfenster… Zum anderen verschonten sie das Publikum mit einer Diskussion der Erfolge oder Misserfolge des Senators. Zwar fielen Worte wie „Opernkonzept“, „Mauergedenkkonzept“, „3-Euro-Ticket“ – aber nur als auf den Begriff reduzierte Beschreibungen von „Projekten“, die jeder kennt. Auch sein erstes – das „Gasometer-Projekt“ im Prenzlauer Berg, das 1984 mit der Sprengung desselben „misslang“ – setzte Flierl als bekannt voraus.

Grundsätzlich war Flierl dem Erfolgs-Misserfolgs-Denken jedoch eher abhold: „Das gibt’s doch auch, dass man sich nur noch Problemen stellt, die man lösen kann – ohne sich zu fragen, ob die auch wichtig sind.“ Mir fielen dazu sofort die Nichtrauchergesetze, Schwulenehenerlaubnisgenehmigungen, Straßenumbenennungen und Videoüberwachungskamerainstallationen ein. Kuttner brachte dies jedoch auf die Frage, ob er, Flierl, noch eine Sehnsucht nach Radikalität habe. Ja – aber: Gegenüber den großen Gesellschaftsanalysen favorisiere er eher Theorien mittlerer Reichweite. Außerdem: In der „Alt-68er-Bewegung und in der DDR habe Linkssein bedeutet, kulturfreundlich zu sein. Das ist aber schwierig geworden.“

Ich dachte dabei sofort an all die schon in die Tausende gehenden Künstler und Wissenschaftler in Berlin, die täglich in der taz ihre Werke annonciert sehen wollen: kostenlos! Flierl blieb jedoch im „Diskurs“ (auch dieses Wort fiel nicht!): „Gelegentlich scheitert man an einer unklaren Akteurs-Konstellation“, meinte er, versicherte uns jedoch, dass er alles in allem auch einen gewissen „Behauptungswillen“ habe; entwickelt nicht zuletzt mit und durch die „Brüche“ in seiner Biografie, für die er dankbar sei.

Unter anderem setzten sie eine „Trennung von persönlichen und gesellschaftlichen Perspektiven“ bei ihm „in Gang“. Dazu käme noch die 20-jährige Erfahrung, ohne die seine Politik „eher ein projektbezogenes Reflektieren als ein reflektiertes Projektemachen geblieben wäre“.