Armeeübergriffe in Nigerias Ölkrieg

Als Rache für erneute Geiselnahme im Nigerdelta zünden Soldaten Armensiedlung an. Angst vor Destabilisierung

PORT HARCOURT/BERLIN rtr/taz Der Krieg in Nigerias Ölfördergebieten eskaliert. Unmittelbar nach einer erneuten Entführung von zwei ausländischen Ölkonzernmitarbeitern durch Rebellen im Nigerdelta haben Soldaten gestern hunderte Häuser einer Armensiedlung niedergebrannt. Bewohner berichten, die Regierungssoldaten seien in die Siedlung gestürmt, hätten Benzin über die Häuser geschüttet und diese in Brand gesteckt.

Die Siedlung bei der Ölmetropole Port Harcourt liegt nahe dem Betriebsgelände der Ölfirma Saipem, einer Tochter des italienischen Energieunternehmens ENI. Augenzeugenberichten zufolge hatten in der Nacht Rebellen mindestens zwei Mitarbeiter des Ölkonzerns, darunter einen Italiener, in der Nacht aus einer Bar in der Siedlung entführt. Bei dem Übergriff erschossen sie auch einen Soldaten.

Als die vor den Flammen geflohenen Familien am Morgen zurückkamen, um nach Resten ihrer Habe zu suchen, wurden sie von den Soldaten wieder vertrieben. „Die Soldaten fragten uns, warum wir Extremisten in unsere Siedlung lassen, um ihre Kameraden zu töten“, sagte ein Bewohner.

Nigerias Präsident Olusegun Obasanjo hatte vor kurzem die Sicherheitskräfte angewiesen, sie sollten im Kampf gegen die Rebellen Gewalt anwenden. Insgesamt sind in diesem Monat mindestens 19 Menschen durch Rebellen entführt worden. Die meisten kamen im Zuge der Militäraktion wieder frei, drei sind noch in Gefangenschaft.

Die erneuten Übergriffe der Armee verstärken Spekulationen, beim Krieg im Nigerdelta gehe es nicht nur um die schlechten Lebensbedingungen der Bewohner der Ölfördergebiete, sondern auch um politische Machtkämpfe. Nächstes Jahr stehen in Nigeria Wahlen an, bei denen Präsident Obasanjo nicht mehr antreten darf, da er bereits zwei Amtszeiten gedient hat. Seine Nachfolge ist noch völlig offen. In den letzten Wochen häufen sich Morde an Politikern von Obasanjos Regierungspartei PDP (Demokratische Volkspartei). Der Generaldirektor des nigerianischen Geheimdientes SSS, Oberst Kayode Are, sagte am Donnerstag gegenüber einer Kommission des Senats, es gebe in fast jedem der 36 Bundesstaaten Nigerias „Todesschwadrone“, die von Provinzgouverneuren und hohen Polizeioffizieren geführt oder sich von diesen kaufen lassen würden.

Auch die Identität der Rebellen in den Ölgebieten ist unklar, und manche vermuten, sie würden von hohen Militärs gesteuert, um das Land zu destabilisieren. Die eigentlich größte Rebellenbewegung Mend (Bewegung für die Emanzipation des Nigerdeltas) hat sich von den jüngsten Geiselnahmen distanziert und warf kürzlich der Regierung des Bundesstaates Rivers vor, durch hohe Lösegeldzahlungen an Kidnapper mitverantwortlich für Entführungen zu sein. „Politiker benutzen solche Ereignisse, um zu beweisen, dass sie die militanten Gruppen im Griff haben“, so Mend in einer Erklärung. D.J.