Wer prügelt, kriegt es mit Schülern zu tun

Berlin führt als erstes Bundesland ein Projekt flächendeckend ein, bei dem nicht Lehrer, sondern Schüler Streit schlichten. So genannte Buddys sollen behinderte Mitschüler unterstützen oder einfach zuhören. Andere Länder sollen bald folgen

AUS BERLIN SOPHIE HAARHAUS

Irgendwann geht es zu weit. Das Schubsen im Schulflur. Das Drängeln auf dem Pausenhof. Und das Hänseln in der Klasse. Wenn es mal wieder so weit ist, wenn sich jemand angegriffen fühlt, dann ruft der Bedrängte „Stopp!“.

„Und dann kommen wir“, sagt Sina, Schülerin der 6. Klasse an der Anne-Frank-Grundschule im Berliner Bezirk Tiergarten. „Wir kümmern uns darum, dass die Stoppregel eingehalten wird.“ Sina ist „Buddy“. Sie ist da, wenn ein Streit geschlichtet werden muss, wenn jemand nicht mehr zur Schule kommen will und auch wenn sich mal wieder zwei geprügelt haben.

Seit einem Jahr gibt es an der Anne-Frank-Grundschule in Berlin das Projekt Buddy. In diesem Schuljahr weitet es Berlin als erstes Bundesland auf alle Grundschulen aus. Auch in Hessen und Niedersachsen gibt es Kooperationen des Buddy e. V. mit vielen einzelnen Schulen. Und der Hauptförderer des Projekts, die Vodafone Stiftung, führt Gespräche mit weiteren Bundesländern, die das neue Projekt an ihre Schulen bringen wollen.

Das Buddyprojekt ist ein Programm für „soziales Lernen“. Es richtet sich vor allem an Schüler ab der fünften Klasse. In Berlin endet die Grundschule erst nach der sechsten Schulklasse, in anderen Ländern würde das Projekt also an weiterführenden Schulen stattfinden. Nach den Ideen und Bedürfnissen der Schüler entstehen an den Schulen verschiedene Praxisprojekte. Die Projekte stehen unter dem Motto „Aufeinander achten. Füreinander da sein. Miteinander lernen“. Dabei ist vor allem wichtig, dass die Schüler die Sache selbst in die Hand nehmen: Behinderte Mitschüler unterstützen, Streit schlichten oder einfach zuhören, das soll in Zukunft nicht mehr die Aufgabe der Lehrer, sondern vor allem der Schüler sein. „Die Lehrer werden zum Coach, sie Begleiten den Prozess und übergeben den Schülern die Verantwortung“, erklärt Roman Rüdiger, Geschäftsführer von Buddy e. V., das Projekt. „Buddy ist nicht gleichförmig und nach einem bestimmten Konzept anwendbar, sondern es ist eine Lebenseinstellung.“

Die 405 staatlichen Grundschulen Berlins starten im gerade begonnenen Schuljahr das Buddyprojekt für ihre fünften und sechsten Klassen. Dafür hat der Buddy e. V. 24 Multiplikatoren ausgebildet, von denen die eine Hälfte auf Suchtprophylaxe, die andere Hälfte auf Gewaltprävention spezialisiert ist. In jedem Berliner Bezirk stehen zwei Multiplikatoren zur Verfügung, die die Projekte in den Schulen begleiten und unterstützen. An jeder Schule werden dann zwei Lehrer ausgebildet, die die Buddyprojekte leiten.

Der Berliner Bildungssenator Klaus Böger (SPD) erhofft sich von dem Projekt vor allem, dass Gewalt an den Schulen abnimmt. „Wir müssen alles versuchen, um den Jugendlichen eine Chance zu geben“, sagt er. Natürlich könne man nicht davon ausgehen, dass es jetzt keine Gewalt mehr gebe auf den Schulhöfen, „aber solchen Initiativen sind kleine Bausteine, die unglaublich wichtig sind“.

Das Buddyprojekt wurde auf Initiative der Vodafone Stiftung 1999 gegründet. „Wir sind mit zwei neuen Bundesländern im Gespräch“, erklärt Bernhart Lorenz, Geschäftsführer der Stiftung, der taz. „Das Thema ist von bundesweiter Relevanz. Der Bedarf in den Ländern ist groß“, meint er.

An der Berliner Anne-Frank-Grundschule hat das Projekt schon Wirkung gezeigt. Von den fast 380 Schülern sind 20 „Buddys“ geworden. „Auf dem Schulhof ist es schon ruhiger geworden, seit es die Stoppregel gibt“, sagt die Sechstklässlerin Sina. Sie hat die Stoppregel jetzt auch zu Hause eingeführt.

SOPHIE HAARHAUS