Ein Mann rennt schreiend

Die Schlinge ist schon geknüpft: Lutz Dammbecks Ausstellung „Paranoia“ in der Akademie der Künste verfolgt die Spuren der Zurichtung des Menschen. Und der Berg der Beweise wächst und wächst

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Das Utopische und das Monströse, sie liegen nie weit auseinander in der Arbeit von Lutz Dammbeck. Wo der Mensch und sein Körper zum Material von machtbesessenen Weltverbesserern wurde, setzt er an. Die Akademie der Künste verlieh ihm 2005 den Käthe-Kollwitz-Preis und holt jetzt am Pariser Platz die damit verbundene Ausstellung „Paranoia“ nach. Inzwischen, stellte der Kunsthistoriker Matthias Flügge bei der Eröffnung fest, haben sich die Gründe für „Paranoia“ als Diagnose der allgemeinen Stimmung eher vermehrt. Die Wellen, die die Diskussionen um die Arno-Breker-Ausstellung in Schwerin oder die Bekenntnisse von Günter Grass geschlagen haben, sind die öffentliche Seite einer Paranoia, mit deren verborgenen Quellen sich Dammbeck in Collagen, Filmen und Recherchen seit Ende der 70er-Jahre beschäftigt.

Fünf Räume umfasst die Ausstellung des 1948 in Leipzig geborenen Künstlers. Der erste ist beinahe leer, bis auf einen Wandtext, der viele der Stichworte auflistet – wie „Gehirnwäsche, Macy-Konferenzen, Kybernetik, Systemtheorie“ –, denen Dammbeck in seinen Recherchen nachspürt, und ein erstes akustisches Fundstück: der Mitschnitt eines Experimentes unter dem Einfluss von Drogen. Im letzten Raum hängt über einem Sockel aus alten Enzyklopädien die Schlinge eines dicken Seils. Fast ein faustisches Bild, eine verzweifelte Antwort auf die wachsende Flut von Informationen: Je mehr ich von der Welt, den Menschen und ihrem Forschungsdrang weiß, desto weniger will ich davon wissen.

Zwischen diesen starken theatralen Akzenten breitet Dammbeck seinen Befund aus, das Angst- und Fluchtimpulse auslösende Wissen. „Herakles Notizen“ heißt eine lange Serie von Collagen, an denen er seit 1982 arbeitet. Ein Mann, der schreiend durch ein Feld rennt, eröffnet die Bilderserie. Man sieht Zitate historischer Bilder, aus der Körpervermessung und von Korrekturapparaturen, die Normen und Ideale über die Vielfalt des Lebens stellten. Man sieht die monströsen Heroen aus der nationalsozialistischen Ästhetik. Jüngere Bilder von Folter legen sich darüber. Dazwischen finden sich viele Listen, teils Versuche der Summierung des Wesentlichen, und komplizierte Diagramme, die zwischen politischen Begriffen der Machtausübung, Techniken der Disziplinierung des Menschen und Forschungsvorhaben ein Netz von Verbindungen herstellen. Und wenn dem Verstand das alles zu viel wird, dieses Schichten von Worten und Bildern und Zeiten, dann kann das Auge auf Schnittmusterbögen ausweichen, die das Komplexe und Komplizierte als ästhetisches Spiel zu wiederholen scheinen.

Im mittleren Raum, der einmal Albert Speer als Atelier gedient hat, breitet Dammbeck ein Archiv aus, das ähnlich wie das Büro eines Architekten gestaltet ist. Ein Modell von Speers großer Halle des Volkes, die nie gebaut wurde, thront auf dicken Schichten von Karten und Plänen, die den gigantischen Architekturfantasien von Speer für die Reichshauptstadt ebenso gelten wie amerikanischen Forschungsprojekten aus der Zeit des Kalten Krieges. Das Gegenstück zu dem Modell der Halle des Volkes bildet die „Skinner Box“, von der Dammbeck Konstruktionszeichnungen reproduziert und vergrößert hat: Sie wurde Anfang der 50er-Jahre von einem amerikanischen Verhaltensforscher erdacht, um die Steuerung von Verhaltensweise auszuprobieren. In der ästhetischen Verkuppelung des Materials verschwistern sich die menschenverachtenden Ansätze und die Versuche, Kontrolle zu erhalten.

Dammbecks ästhetische Strategie ist zweigleisig: Einerseits häuft er vor dem Besucher Berge von Wissen an, Bücher liegen aus, Interviews laufen, Stunden bräuchte man, um sich einzuarbeiten, und zeigt angesichts dieser Forderung des Materials selbst Zeichen der Paranoia. Andererseits legt die Schichtung all der Materialien, das Collagieren und Anhäufen, selbst nahe, das Ganze als inkommensurablen Berg zu betrachten. Die Kunst, die Systeme des Ein- und des Ausschlusses erklären will, wird selbst zu einem System, das die eigenen Schlüssel verschludert hat, irgendwo in dem Wust der Beweise. Manchmal denkt man fast, das ist ein karikierender Gestus, mit dem Dammbeck da arbeitet und eine Parodie der Wissenschaften als Geheimgesellschaften; aber sicher kann man da nie sein.

Lutz Dammbeck: „Paranoia“, Akademie der Künste, Pariser Platz 4, Di. bis So. 11–20 Uhr, bis 22. Oktober