Von nichts gewusst

Mohamed Zammar leidet in syrischer Haft – sein Fall ähnelt dem von Murat Kurnaz

VON CHRISTIAN RATH

„Ich bin gesund und bitte euch, für mich zu beten und mir zu verzeihen, euer Haydar.“ Das sind die einzigen Worte, die seine Familie in den letzten Jahren von Mohamed Haydar Zammar erhalten hat. Sie stammen aus dem Juni 2005. Immerhin ein Zeichen, dass der 45-Jährige noch lebt. Der deutsche Staatsbürger Zammar sitzt seit Anfang 2002 in syrischer Haft. Ohne anwaltliche Betreuung, ohne Besuche seiner Familie, ohne Perspektive.

Zammar ist damit ähnlich lange inhaftiert wie der Bremer Deutschtürke Murat Kurnaz, der vorige Woche nach viereinhalb Jahren aus dem US-Lager Guantánamo zurückkam. Zammar ist gebürtiger Syrer, seit 1982 hat er die deutsche Staatsbürgerschaft. Seit langem wohnte er mit seiner Frau und sechs gemeinsamen Kindern in Hamburg.

Doch während Kurnaz zum Zeitpunkt seiner Inhaftierung höchstens zum Rand der islamistischen Szene gehörte, sah die Polizei in Zammar damals bereits eine Schlüsselfigur. In den 90er-Jahren war Zammar mehrmals in afghanischen Ausbildungslagern gewesen. In Hamburg verteilte er Al-Qaida-Flugblätter. Durch ihn kamen auch die Attentäer vom 11. 9. in Kontakt zu Ussama Bin Laden. Er vermittelte der Gruppe um Mohammed Atta einen Aufenthalt in Afghanistan. Nach den Anschlägen leitete die deutsche Polizei schnell ein Ermittlungsverfahren gegen Zammar ein – doch für einen Haftbefehl reichten die Vorwürfe nicht.

Dann begann Zammars Odyssee. Am 27. Oktober 2001 flog er nach Marokko, um sich von seiner marokkanischen Zweitfrau scheiden zu lassen. Am 8. Dezember wollte er nach Hamburg zurückfliegen. Doch dazu kam es nicht. Er wurde, wohl auf Betreiben der Amerikaner, vom marokkanischen Geheimdienst festgenommen und mehrere Wochen verhört. Die Amerikaner waren vom Bundeskriminalamt Ende November über Zammars Reise informiert worden.

Ende Dezember wurde Zammar in sein Geburtsland Syrien geflogen und in die Kerker des berüchtigten Far-Filastin-Gefängnis des Militärgeheimdienstes gesteckt. Die unterirdischen Zellen sind gerade mal 185 Zentimeter lang und 90 Zentimeter breit, wie Mitgefangene gegenüber amnesty international berichteten. Ein Hüne wie Zammar, der rund zwei Meter groß ist, kann nicht einmal aufrecht stehen. Die Gefangenen müssen auf dem Boden schlafen. Es gibt Ungeziefer, das Essen ist schlecht. Bei Verhören wird gefoltert. Zammar, der früher 140 Kilo wog, soll 50 Kilo abgenommen haben.

Zunächst blieb aber unbekannt, wo Zammar überhaupt steckt. Seine Familie meldete ihn vermisst. Erst im Juni 2002 wurde der deutsche Botschafter in Washington von den USA vertraulich unterrichtet. Gül Pinar, die Anwältin seiner Familie, erhebt schwere Vorwürfe gegen die Bundesregierung: „Die Regierung hat ihre Schutzpflicht eklatant verletzt.“ (Siehe das Interview unten.)

Einen Monat später traf eine Delegation des syrischen Geheimdienstes in Berlin mit Vertretern deutscher Sicherheitsbehörden zusammen, mit dabei der Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), August Hanning, heute Staatssekretär im Innenministerium. Die Syrer wollten unter anderem erreichen, dass mehrere Ermittlungsverfahren gegen syrische Agenten in Deutschland eingestellt wurden. Die Deutschen forderten als Gegenleistung die Einstellung der Spionage und Zugang zu Zammar – nicht etwa seine Freilassung.

Der Deal wurde geschlossen. Am 24. Juli 2002, am Vorabend des Prozesses gegen zwei syrische Agenten, nahm der damalige Generalbundesanwalt Kay Nehm völlig überraschend die Anklagen zurück. Am 20. November 2002 reiste eine deutsche Delegation – je zwei Beamte des BND, des Bundeskriminalamts und des Verfassungsschutzes – nach Damaskus und vernahm Zammar drei Tage lang. Bei dieser Gelegenheit sagte Zammar den Ermittlern, er sei geschlagen worden und vegetiere in seiner Zelle nur dahin. Dass dieses Verhör stattgefunden hat, wird erst drei Jahre später, im Herbst 2005, bekannt. Als Problem sah Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) dabei nur, dass auch Polizeibeamte (und nicht nur Geheimdienstler) teilgenommen hätten.

Nach außen setzte sich die Bundesregierung stets für Zammar ein. Das Auswärtige Amt forderte Syrien mindestens neun Mal auf, die konsularische Betreuung des Hamburgers zu ermöglichen. Doch Syrien reagierte nicht. Dort betrachtet man Zammar, der 1982 bei seiner Einbürgerung in Deutschland eigentlich auf seine ursprüngliche Staatsbürgerschaft verzichtet hat, immer noch als Syrer.

Nach dem Willen der drei Oppositionsparteien FDP, Linke und Grüne soll der halbherzige Regierungseinsatz für die Freilassung von Kurnaz und Zammar nun auch im BND-Untersuchungsausschuss des Bundestags untersucht werden. Der frühere Außenminister Joschka Fischer (Grüne) sagte später, er habe von dem Deal mit Syrien nichts gewusst. Das Gleiche ist heute von Kerstin Müller (Grüne), seiner ehemaligen Staatsministerin, zu hören. Zumindest der jetzige Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), der damals im Kanzleramt für die Geheimdienste zuständig war, muss aber gewusst haben, dass, wie im Fall Kurnaz, auch bei Zammar eine gute Chance nicht genutzt wurde, den Gefangenen freizubekommen. Doch das Auswärtige Amt will dazu keine Stellung nehmen: „Über Geheimdienstfragen informiert die Regierung nur das Parlamentarische Kontrollgremium.“