Biedermänner, die gern drohen lassen

Im Wahlkampf versuchen Rechtsextreme, SPD und PDS einzuschüchtern: Veranstaltungen bekommen Neonazibesuch, PDS-Mitglieder werden fotografiert, eine SPD-Kandidatin wird beim Einkaufen angegangen. Bomberjacken sind überflüssig

VON GEORG LÖWISCH

Berlin, Lichterfelde Süd: Auf einer Wahlkampfveranstaltung der SPD zum Thema Rechtsextremismus tauchen 30 schwarz gekleidete Männer mit kurz geschorenen Haaren auf. Die Veranstaltung wird abgebrochen. – Hagenow, Südwestmecklenburg: Infoständen von SPD und PDS nähern sich Männer, keine Bomberjacken, keine kurzen Haare, normal gekleidet. Sie fotografieren Bürger am Stand, zischeln „Sozis raus!“. Erst als die Polizei kommt, gehen sie.

Es sind solche Szenen, die vor den Landtagswahlen am 17. September auffallen und von denen SPD- und PDS/Linkspartei-Politiker sagen, sie gehörten zum NPD-Konzept: Eine „Strategie“ sieht PDS-Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch, der in Mecklenburg seinen Wahlkreis hat. „Die Aussage soll sein: Wir lassen uns hier nicht verdrängen, wir sind schon hier.“ Berlins SPD-Chef Michael Müller spricht von einer neuen Qualität: „Die NPD und ihre Anhänger suchen ganz bewusst die Nähe und Konfrontation und stellen sich direkt neben die anderen Parteien.“

Ein Mittel der Einschüchterung ist das Fotografieren: Die Rechtsextremen knipsen SPD- und PDS-Anhänger sowie Menschen, die sich über deren Politik informieren wollen. Sie sollen Angst haben, dass sie in Gegnerdateien der rechten Szene erfasst werden. Als am 11. August in der 12.000-Einwohner-Stadt Hagenow SPD- und PDS-Mitglieder ihre Stände aufgebaut hätten, sagt die PDS-Landtagsabgeordnete Gabi Měštan, seien sie von allen Seiten fotografiert worden: „Sie versuchen so, Angst zu verbreiten. Das ist ein beklemmendes Gefühl.“ Die SPD-Abgeordneten Margret Seemann berichtet, ihr habe einer der NPD-Männer an diesem Tag gesagt: „Wenn wir erst mal dran sind, dann werdet ihr Sozis verschwinden.“ Sie habe geantwortet, dass sei schon nach 1933 versucht worden. „Und wir stehen immer noch hier.“ Bei der Auseinandersetzung in Hagenow war auch NPD-Spitzenkandidat Udo Pastörs dabei.

Vergangenen Freitag traf die Sozialdemokratin Seemann erneut Rechtsradikale. Beim Einkaufen sprachen sie zwei junge Männer an, taten ihre ausländerfeindlichen Meinungen kund, zeigten sich siegesgewiss – und fragten, ob sie nachts noch schlafen könne. Seemann sagt, die zwei hätten keine Springerstiefel getragen und auch keine Glatzen gehabt. Was ihr auffiel, war ein süddeutscher Akzent.

Während die Rechtsextremen in Berlin gern in typischer Neonazikleidung auftreten, geben sie sich in Mecklenburg-Vorpommern ein Biedermannimage – vermutlich wollen sie signalisieren, dass sie sich in der Mitte der Gesellschaft sehen.

„Sie haben Oberwasser“, sagt PDS-Bundesgeschäftsführer Bartsch. Eine Umfrage in der vergangenen Woche sah die NPD erstmals bei sechs Prozent in Mecklenburg-Vorpommern. Sogar jeder Zehnte der Befragten gab an, vielleicht oder sicher NPD zu wählen. In Berlin liegt die Partei unter drei Prozent.

Nicht immer bleibt es bei Fotos und miesen Sprüchen. In Picher im Kreis Ludwigslust wollte Mitte August ein 69-jähriges PDS-Mitglied verhindern, dass NPD-Helfer ein Plakat an eine Laterne vor seinem Haus hängen. Einer der fünf schlug ihm so hart gegen die Schläfe, dass er einen Bluterguss bekam und bis heute augenärztlich behandelt wird. Notwehr, behauptet die NPD.