Schulz, der Baumeister

taz-Serie „Bezirkssache“ (Teil 9): Friedrichshain-Kreuzberg hat mit Franz Schulz einen Baustadtrat, der über die Bezirksgrenze hinaus bekannt ist. Streitbar ist Schulz – und umstritten. Das liegt auch daran, dass er seine Arbeit schlecht vermittelt. Als möglicher Bürgermeister in spe sollte er daran arbeiten

von WALTRAUD SCHWAB

Hochbegabte haben es schwer. Lange bevor die Schar der Durchschnittsmenschen etwas begreift, haben sie bereits ihre Schlüsse gezogen und handeln entsprechend. Manchmal haben sie deshalb ein Kommunikationsproblem. Sie reden über Dinge, die anderen noch Bücher mit sieben Siegeln sind. „Hör auf! Merkst du nicht, dass du uns längst verloren hast?“, wird Franz Schulz, Stadtrat für Bau und Stadtentwicklung in Friedrichshain-Kreuzberg, mitunter von den grünen FraktionskollegInnen unterbrochen.

Andere, die ihn nicht duzen, einigen sich, wenn es um die Charakterisierung des Bezirkspolitikers geht, gern auf die Formel „schwierig“. Vor allem BewohnerInnen des Bergmannkiezes. Sie machen Schulz für den Abriss der Habel’schen Trinkhalle und den Bau eines Ärztezentrums verantwortlich. Und werfen ihm vor, die bisherigen Händler aus der Markthalle am Marheinekeplatz per Sanierung zu vertreiben. „Er hat den Bauplan bewilligt“, sagt eine Kritikerin. Stimmt nicht: Der Plan wurde von der BVV abgesegnet. Aber es ist einfacher, wenn einer der Buhmann ist.

Trotzdem könnte Schulz neuer Bürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg werden. Nicht überall ist er unbeliebt. Viele vertrauen seinem Eigensinn, mit dem er Dinge vorantreibt. Er hat Milieuschutzgebiete und Verkehrsberuhigungszonen ausgewiesen, um die Mietenexplosion im Rahmen zu halten und die Lebensqualität im Bezirk zu fördern. „Die Leute wissen, dass ich gute Arbeit für sie gemacht habe“, sagt er selbstbewusst.

Der Informierte

Schulz’ Stärke: Er liest sich durch Berge von Papieren und Verordnungen, wohl wissend, dass der, der besser informiert ist, in einem Disput schneller als Sieger dasteht. Der Stadtrat wirkt nie unvorbereitet. Einmal soll er nach einem Glas Wein einem Journalisten minutiös den Nutztierbestand des Bezirks aufgezählt haben: 57 Hühner, 17 Gänse, 21 Ziegen. So in der Art. Der Journalist kann sich nicht mehr an die Zahlen erinnern, nur daran, dass er beeindruckt war.

Fakten sind Schulz’ Material, durch das er sich maulwurfartig Tunnel gräbt. So findet er immer Lücken in den Plänen von Investoren oder in Gesetzen. Passt ihm ein Vorhaben nicht, kann er es oft nicht vereiteln – dazu haben die Bezirke zu wenig Macht. Aber Schulz ist ein Meister darin, auch unter ungünstigen Vorzeichen noch etwas rauszuholen, und sei es nur eine Verzögerung bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag.

Klar ist: Ein Baustadtrat kann keinem Grundstückseigentümer vorschreiben, an wen er verkauft. Er kann keinem Investor in die Pläne spucken, wenn es die Gesetzeslage nicht hergibt. Will ein Discounter eine Filiale eröffnen und bleibt die Verkaufsfläche unter 1.200 Quadratmetern, dann kann Schulz hart verhandeln und Alternativen aufzeigen, verhindern kann er es nicht. Und das Ärztehaus? „Die Gesundheitsreform zwingt Ärzte zum Sparen. Sie können es am Patienten tun oder indem sie Geräte und Personal teilen“, sagt er. „Das ist durchdacht.“

Wie ein kleiner Junge sitzt der 58-Jährige im achten Stock des Rathauses an der Yorckstraße und ist überrascht, dass ihn nicht alle verstehen. Dass Investoren sich am Spreeufer breitmachen, kritisieren viele. Was sie nicht zur Kenntnis nehmen: Schulz’ Beharrlichkeit ist es zu verdanken, dass auf Friedrichshainer Seite ein Uferpark angelegt und die Kreuzberger Seite mit Stegen versehen wird. Hier geht es um die Rückgewinnung öffentlichen Raums. Frühere Pläne sahen eine Villenbebauung vor.

Schulz hat die Investoren dazu gebracht, die Restaurierung der Ufer zu finanzieren. Von Anschutz, dem kanadischen Entertainment-Unternehmen, das auf dem Gelände am Ostbahnhof baut, bekam Schulz das Geld, um die Flächen vor der East Side Gallery von den Alteigentümern – meist Nachkommen vertriebener Berliner – zu erwerben. „Die saßen in meinem Büro und waren überrascht, dass sie ihren Besitz nun nicht meistbietend verkaufen konnten“, erzählt Schulz. „Zuerst wurden wir enteignet, dann hat man die Mauer auf unseren Boden gebaut, und jetzt sollen wir ihn Berlin fast noch schenken?“, sagten einige. „Das tat mir leid“, sagt Schulz, aber er habe es für den Bezirk getan.

In der Mangel

Dass Schulz von den Friedrichshain-Kreuzberger Stadträten öffentlich am meisten in die Mangel genommen wird, liegt daran, dass die Bezirke bei der Stadtplanung den größten Handlungsspielraum haben. Bei den meisten anderen Themen – Soziales, Gesundheit, Schule – gibt der Senat die Route vor. Das ist keine Entschuldigung dafür, dass die Namen der anderen Stadträte – Lorenz Postler (SPD), Sigrid Klebba (SPD), Kerstin Bauer (PDS) – kaum über die Rathausgrenzen hinaus bekannt sind. Nur Cornelia Reinauer, die PDS-Bürgermeisterin, wird gern nach ihrer Meinung gefragt. Sie will am 17. September ein Direktmandat im Bergmannkiez fürs Abgeordnetenhaus gewinnen. Dass sie für sich werbe, indem sie Schulz schlechte Politik im Kiez vorwirft, treffe nicht zu. „Entscheidungen wurden immer mehrheitlich getroffen“, sagt sie.

Franz Schulz war selbst schon einmal Kreuzberger Bürgermeister, vor der Fusion mit Friedrichshain. Damals war er auch für den Baubereich zuständig. Als er sich nach der Wende für den Einstieg in die Bezirkspolitik entschieden hatte, merkte er nämlich schnell, wo es am meisten zu entscheiden gibt. Als künstlerisch begabter Mensch wollte er gestalten, nicht nur ausführen. Wie ein Berserker arbeitete er sich in das Metier ein, Stadtplanung kam in seinem Lebenslauf bis dahin nicht vor.

Schulz war kein guter Schüler gewesen. „Wenig Begabung fürs Rechnen“, schrieb ihm ein Lehrer ins Zeugnis. Aber er hat sich hochgearbeitet: vom Volksschüler zum Fotolithografen. Vom Hobbyzeichner zum Studenten an der Werkkunstschule. Vom Organisten zum Jazzmusiker. Vom Abendgymnasiasten zum promovierten Physiker. Vom Comiczeichner für Radikal zum Kita-Gründer. Von einem, der desillusioniert war von der Politik und den Protestbewegungen, hin zum Lokalpolitiker.

Jetzt will er wieder Bürgermeister werden. Klappt es, wird er sich in neue Themen einarbeiten: Migration und Bildung. Eine Fortbildung im Händeschütteln und im Smalltalk steht auch auf dem Programm. Damit er endlich lernt, mit den Leuten zu sprechen. Er wird schnell kapieren, wie’s geht.