Ein Metzger packt aus

Held oder Verräter? Der 19-jährige Geselle Sebastian W. hat Bayerns Polizei die entscheidenden Tipps geliefert

Für die einen ist er ein Held, für die anderen ein Verräter – Sebastian W., der 19-jährige Metzgergeselle aus Niederbayern. Bei seiner Arbeit in einem Fleischzerlege- und Schlachtbetrieb in Metten bei Deggendorf hatte er einiges mitbekommen. Etwa wie schmierige Schweinefleischabschnitte als frisches Wurstfleisch verkauft wurden. Oder wie tiefgefrorene Schweinenacken gepökelt und so zu Surfleisch, einer bayerischen Spezialität, wurden. Mit seiner Vorstellung vom Fleischergeschäft war das nicht zu vereinbaren. Deshalb hat er aufgelistet, was er sah – anvertraut hat er sich offenbar niemandem.

Ende August fand ein Pilzsammler im Wald einen Koffer und brachte ihn zur Polizei. Die fand darin Sebastian W.s Aufzeichnungen. Der gab an, den Koffer in seinem unverschlossenen Auto aufbewahrt zu haben, Diebe müssten ihn in den Wald geworfen haben. Die Polizei reagierte prompt auf den Fund, schon wenige Tage später führte sie in der Fleischzentrale in Metten eine Razzia durch. Es eilte, denn die Firma hatte Kunden im gesamten Bundesgebiet. Mehr als 40 Tonnen Fleisch wurden sichergestellt, und Bayern hatte seinen zweiten „Gammelfleisch“-Skandal in diesem Jahr, aufgedeckt von einem ahnungslosen Pilzsammler – nicht von einem Lebensmittelkontrolleur.

Die Staatsanwaltschaft Deggendorf ermittelt nun gegen den 53-jährigen Fleischer aus Metten wegen Betrugsverdachts und Verstoßes gegen das Lebensmittelrecht. Seinen Gesellen jagte der am vergangenen Freitag mit einer außerordentlichen Kündigung vom Hof. Seitdem bekommt Sebastian W. die Wut seiner ehemaligen Kollegen zu spüren. „Ich kenne dich nicht mehr“, heißt es in einer SMS. „Das, was du uns angetan hast, damit musst du leben“, in einer anderen. Oder: „Das wirst du noch bereuen.“ Und: „Die Zukunft wird dir bringen, was du verdient hast.“

In ihren Augen ist er ein Nestbeschmutzer, der aus niederen Beweggründen gehandelt habe. Denn an dieser Stelle wird aus dem „Ekelfleisch“-Skandal eine weißblaue Geschichte wie aus dem bayerischen Volkstheater. Metzgergeselle W. nämlich war mit der Tochter seines Chefs liiert, bis sie ihm wegen eines anderen den Laufpass gab. Deshalb glauben die Kollegen an Rache aus verschmähter Liebe.

Für den Leitenden Oberstaatsanwalt Alfons Obermeier aus Deggendorf hingegen ist Sebastian W. ein Vorbild. „Er hat einen Verdienstorden verdient“, sagte er gestern zur taz. „Er ist Metzger mit Leib und Seele, der Qualität sehr ernst genommen hat. Seine Ausbildung war mit seinem Berufsethos nicht vereinbar.“ Aus diesem Grund habe er die Missstände notiert. W. hat ausgesagt, alles vor vier Monaten zu Papier gebracht zu haben. Von der Metzgerstochter verlassen wurde er erst vor sechs Wochen. Sebastian W. bestritt, die Machenschaften in Metten aus Rache festgehalten zu haben.

Bislang sind mehr als sechs Tonnen Fleisch untersucht worden, zum Teil war es schon drei Jahre alt. Das Fleisch, darunter Wild und Spanferkel, wurde auf dem Privatgrundstück des Metzgers und in einem Lager im Landkreis Passau entdeckt. In Regensburg eingelagertes Fleisch war für Abnehmer in Hongkong bestimmt, ein Drittel der bislang untersuchten Proben war nicht zum Verzehr geeignet. „Deutlich faulig, käsig oder ranzig“, lautet das Untersuchungsergebnis.

Die Behörden prüfen derzeit, ob dem Unternehmen die Zulassung entzogen werden muss. Chefermittler Obermeier geht davon aus, dass es auch früher schon bei der Fleischzentrale zu Verstößen gegen die Vorschriften kam. Bereits im Oktober vergangenen Jahres gab es in Deggendorf einen Fleischskandal. Ein Tierfutterhändler soll tausend Tonnen genussuntaugliche Schlachtabfälle von Schweinen und Hühnern als lebensmitteltauglich umdeklariert haben. Ende September muss er sich vor Gericht verantworten.

Sebastian W. hat eine Handynummer der Kriminalpolizei bekommen, die er Tag und Nacht anrufen kann, sollte er sich bedroht fühlen. Als Fleischer arbeitet der Metzgergeselle aber im Moment nicht. „Er arbeitet jetzt in einem total anderen Tätigkeitsfeld“, sagt Staatsanwalt Obermeier. BARBARA BOLLWAHN