Allahs Wattezahn

Schurken, die die Welt beherrschen wollen. Heute: Recep „Tayyip“ Erdogan

Es dürstete Erdogan nach Macht wie das Dromedar nach Wasser

Vor über achtzig Jahren hatte Mustafa Kemal Pascha die laizistische Türkei aus dem Ärmel geschüttelt. Seither wussten aufgeklärte Türken, dass die Moscheen, genau wie die Kirchen im Westen, innen hohl sind und gingen Gott möglichst aus dem Weg. Doch mittlerweile hat sich am Bosporus die Zeit gedreht, und die bitteren Symptome der Islamisierung kann sich jeder selbst ausdenken: Immer mehr Frauen bekennen sich zu einem strengen Tschador. Knaben üben mit Taschenmessern und Laubsägen an streunenden Hunden die Scharia, während die Mädchen mit einer in türkischer Lizenz hergestellten Barbiepuppe spielen, die so dick wie lang ist und nicht „Mama“ sagt, sondern „Allah ist groß, Allah ist mächtig“ ruft. In den Bars der Tourismuszentren wird nur noch alkoholfreier Whisky aus dem Wasserhahn ausgeschenkt, auf dem Land werden Viehherden nach Geschlechtern getrennt.

Ihm kann Gott auf allen Knien danken, wenn er welche hat: Recep Tayyip Erdogan. 1954 in Istanbul als Sohn eines Seemanns geboren, aber mit Erde getauft, stellte er sein ganzes Leben auf die festen und trockenen Füße Allahs. Bereits 1969, als er das religiöse Imam-Hatib-Gymnasium besuchte, wo sonst Vorbeter und Prediger einen schulischen Anstrich erhalten, entschloss er sich, den Ungläubigen in Staat und Politik getreu dem Gebot des Korans die Enden aller Finger abzuhacken und die Gesichter mit flüssigem Erz zu besprengen, bis ihre Nasen geröstet sind. Er reihte sich in die scharf tickende „Milli Görüs“-Jugend ein und begann kurz darauf, da der Glaube an den einen Gott mit dem an die eine türkische Nation zusammenklebt wie Pech und Schwefel, in der Nationalen Ordnungspartei seine Mission im Dienst des Allmächtigen, der es alleine offenbar nicht schaffte.

Es dürstete Erdogan nach Macht wie das Dromedar nach Wasser. Doch Justiz und Militär, die Gott zwar im Schlafzimmer dulden, aber nicht draußen in der Öffentlichkeit, versuchten hartnäckig, die islamische Bewegung bis auf die Grundmauern auszuradieren. 1971 wird die Nationale Ordnungspartei auf gerichtliche Anordnung zerfleischt. Die Nachfolgepartei, die Nationale Heilspartei, wird 1981 zerschmettert, als putschende Generäle alle Parteien außer Kraft setzen. 1983 als Wohlfahrtspartei wiedergeboren, wird sie 1998 vom Verfassungsgericht aufgefressen, aber als Tugendpartei gleich wieder auf den Tisch gestellt. Im Jahr 2001 schließlich, nachdem auch die Tugendpartei von der Justiz erwürgt worden ist, ruft Erdogan sie als „Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung“ erneut ins irdische Leben; denn die Partei Gottes hat 99 Namen wie Gott selbst, und den hundertsten kennt nur das Kamel.

Erdogan, der noch 1998 wegen eines unter blauem Himmel zitierten Gedichts von Zoya Gökalp, dem großen Onkel des türkischen Narziss- und Islamismus, monatelang hinter schwedischen Gardinen wohnen musste, hatte inzwischen begriffen, dass Gottes Kiefer langsam mahlen. Er, der einst den Feinden des Islams im Namen des Allbarmherzigen ein Kleid aus Feuer bereiten und kochendes Wasser über ihre Häupter gießen wollte, packte jetzt seine Zähne in Watte. Wörter wie Toleranz und Demokratie flossen wie Honigseim von seinen Lippen herab. Er war ein Politiker mit normaler Betriebstemperatur geworden, und 2002 läuteten die Minarette: Bei den fälligen Wahlen zerplatzten fast alle alten Parteien, Erdogans Bewegung eroberte einen Erdrutsch. Viele Wähler setzten damals, als die Wirtschaft vor dem Höllenhund stand und die Banknoten weniger wert waren als die Asche, zu der man sie verbrannte, alles bis auf ihre letzte Hose auf Gott und seinen Gesandten Erdogan, dem es im Unterschied zu Ersterem tatsächlich gelang, der Ökonomie wieder ein paar Beine zu machen.

Überhaupt bemüht sich Erdogan, beim Regieren ein harmloses Gesicht zu machen, weiß er doch, dass Generäle und Richter ein spitzes Auge auf ihn haben: Freiheit in der Türkei ist die Einsicht in die Notwendigkeit, gesiebte Luft zu atmen, wenn man den Islam zu dick aufträgt. Das Gleiche trifft aber auch jene vaterlandslosen Gesellen, die vor dem Türkentum nicht auf ihren Kniescheiben rutschen und deshalb das Kittchen schmecken müssen; hier steht Erdogan fett auf Seiten jener Staatsdiener, die fürs Totmachen und Einsperren mit überschäumenden Gehältern entlohnt werden.

Doch nicht nur wenn es um das Heilige Reich Türkischer Nation geht, sondern auch wenn er selbst auf dem Spiel steht, gerät Erdogan schnell aus der Façon. Zahlreiche Karikaturisten wurden bereits nach Maßgabe des Propheten bei den Haaren ergriffen und mit dem eigenen Gesicht über den Boden geschleift, denn Satire hat für Erdogan ihre Grenze in Erdogan und ist also beschränkt. Erdogan aber ficht mit Gott für Erdogan und Vaterland, und das Letzte reicht bis in die hintersten Enden der Turkvölker Asiens – weshalb der EU, bei allem Misstrauen gegen einen, der Allah im Hinterkopf hat, schon heute das Geld im Mund zusammenläuft. PETER KÖHLER