Lümmeln, lungern, leiden

Ein hauptsächlich ärmliche und gewöhnliche Menschen abbildendes Werk, das mit seiner lebendigen und lebensnahen Frömmigkeit grundlegend für die Malerei des Barock wurde und das erste Mal in Deutschland zu sehen ist: die große Caravaggio-Ausstellung im museum kunst palast Düsseldorf

VON KATJA BEHRENS

Jedes seiner Bilder war ein Skandal. Der italienische Maler Caravaggio gilt als die Inkarnation des barocken Künstlergenies, dessen revolutionäre Malerei die Ekstasen jener Zeit und seines eigenen Lebens widerspiegelt. Er starb 1610 im Alter von siebenunddreißig Jahren in Porto d’Ercole, nördlich von Rom. Die letzten vier Jahre seines Lebens war er ständig auf der Flucht: vor Polizei, Justiz und gedungenen Mördern, doch hinterließ er in den Hafenstädten von Neapel über Valetta bis nach Palermo ergreifende Altarbilder. Caravaggio hatte 1606 einen Mann getötet, einige andere verletzt, wurde in Rom der Verleumdung angeklagt, bei einer Kneipenschlägerei in Neapel verstümmelt, war ungehobelt, mürrisch, jähzornig und schwul.

Folglich war er das gefundene Fressen für den Kult des verkannten Genies, und als der italienische Kunsthistoriker Roberto Longhi, der in den 1920er-Jahren den Barockmaler wiederentdeckt hatte, 1951 in Mailand im Palazzo Reale die entscheidende Ausstellung ausrichtete, wurde Caravaggio nach dreihundert Jahren in der Versenkung wieder ans Licht geholt. Das Feuer der Begeisterung für diesen jungen Wilden ist seither nicht mehr erloschen, denn die vielfach kolportierten Geschichten und Anekdoten, die sich um sein skandalöses Leben ranken, scheinen in seiner atemberaubenden Malerei ihren adäquaten Ausdruck gefunden zu haben. Ausstellungen in New York (1985) und kurz darauf in Paris widmeten sich dem Kontext und der Ausstrahlung seines Werkes, brachten neben den unmittelbaren Zeitgenossen und Kollegen wie etwa Bartolomeo Manfredi (um 1580–1620), der den Stil Caravaggios in Rom aufgenommen und fortgesetzt hatte, auch Maler wie Rembrandt, Ribera, Velazquez, Vermeer oder Georges de La Tour ins Gespräch. Rund 40 Gemälde sind nun in Düsseldorf zu sehen, von denen etwa ein Drittel keine eigenhändigen Caravaggios sind, indes seine Bildfindungen sein sollen. Die groß angekündigte Ausstellung ist also vor allem ein Geschenk an die Forschung. Kuratiert vom scheidenden Museumsdirektor Jean-Hubert Martin und Ex-Kunsthallen-Chef Jürgen Harten (nun Berlin) ist sie Teil des aufgeplusterten Kunstevents Quadriennale 06, für das der Stadt 122 Millionen Euro zur Verfügung stehen.

Ihre offensichtliche Kapitulation vor dem Problem der Zuschreibung aber mündet letztlich in den euphemistisch verklärten Versuch, die Unentscheidbarkeit und Ambivalenz der Forschung fruchtbar ins Positive zu wenden und das Urteil dem Betrachter zu überlassen. Doch fällt es selbst den Kennern schwer, den richtigen vom nicht ganz richtigen Caravaggio zu unterscheiden, die eigenhändige Zweitfassung von der autorisierten Kopie oder der späteren Replik. Letztendlich bleibt alles irgendwie suspekt. Auch die Frage, inwieweit der Künstler selbst in die Verrätselung seiner Identität und seines Werkes verwickelt ist, muss unbeantwortet bleiben.

So lässt sich im Werk des jungen Malers eine stringente chronologische Ordnung nur schwer bestimmen und eine folgerichtige Gruppierung seiner Werke erscheint selbst unter Zuhilfenahme naturwissenschaftlicher Analysen oftmals zweifelhaft.

Als Michelangelo Merisi da Caravaggio mit Anfang Zwanzig aus der oberitalienischen Provinz nach Rom kam, erwartete ihn dort ein Kunstbetrieb, dessen geschwätzige Manieriertheit nur schwer über die Rezession hinwegtäuschen konnte. Im frühen Seicento erfand der junge Maler sich so als Vorreiter einer neuen, gegen den Manierismus und seine visuelle Pedanterie anmalenden Bewegung, die eine äußerst realistische, theatralische Bildsprache einsetzte, um die dramatischen Augenblicke der Heilsgeschichte möglichst wahrhaftig zu schildern.

Zu Lebzeiten war der 1571 geborene Caravaggio kaum erfolgreich, nur wenige Sammler und Liebhaber konnten seiner avantgardistischen Auffassung von Malerei etwas abgewinnen. Doch als er 1592/93 in Rom ankam, fand er bald einflussreiche Mäzene (und Beschützer) wie etwa den Kardinal Francesco Maria del Monte, dessen Protektion ihm schon 1590 den Auftrag für die Ausmalung der Cappella San Matteo in San Luigi dei Francesi verschafft hatte.

Die zeitgenössische Kritik jedenfalls war fast einhellig der Auffassung, dass Caravaggios pointierter Realismus, seine leidenschaftliche Rückkehr zum Greifbaren, zum menschlichen Körper, mit den religiösen Inhalten nicht zu vermitteln sei. Dennoch wurde, das zeigt die Kunstgeschichte, die lebendige und lebensnahe Frömmigkeit seines Werks grundlegend für die Malerei des Barock.

Seine Vorliebe für ärmliche, gewöhnliche Gestalten, für zerrissene Ärmel, dreckige Fingernägel und Füße, für sehnsüchtige Münder und verhangene Blicke wirkte lange Zeit abstoßend, bis bemerkt wurde, dass die Figuren seiner Bilder zwar oft in Finsternis gehüllt sind, durch das sakramentale Licht jedoch verklärt werden. Caravaggios Modelle sind keine Heiligen und Götter, sie sind Menschen von der Straße, sind schmollende, kostümierte Modelle vom Babystrich. Caravaggio wird geliebt gerade wegen der einfachen Leute, denen er in seinen Bildern ein Denkmal setzt. Sie lümmeln und lungern herum, sitzen, zeigen mit dem Finger oder zucken mit den Achseln. Und selbst wenn sie tot daliegen, glaubt man ihnen.

Bis 7. 1. 2007, museum kunst palast Düsseldorf, Katalog 24,50 €