Der schlechte Lohn des Sterbens

Das kleine Privattheater „Tribüne“ möchte zeitgenössischer und künstlerisch relevanter werden – und startet das Projekt „Gegen/warte“ mit „Claus Peymann kauft Gudrun Ensslin neue Zähne“, einer dumpfen RAF-Nostalgie-Show

„Gegen/warte“ heißt das Motto, mit dem sich die kleine Tribüne am Wilmersdorfer Ernst-Reuter-Platz mit neuer künstlerischer Leitung wieder in künstlerisch relevantere Gefilde bugsieren will. Ganz zeitgenössisch will man sein und bei der Betrachtung der Gegenwart auch noch eine Gegenwarte einnehmen. So weit die Theorie.

Als erste Maßnahme gab es am Samstag einen Eröffnungsmarathon mit zwei Uraufführungen und einer Premiere. Besonders der Titel von Stück drei hatte Zug: „Claus Peymann kauft Gudrun Ensslin neue Zähne“. Der bezieht sich einerseits auf eine Sammelaktion, mit der Peymann vor über 30 Jahren der einsitzenden RAF-Terroristin zu einer Zahnbehandlung verhelfen wollte. Andererseits kokettiert er mit den von Thomas Bernhardt einst für seinen Regisseur erfundenen Minidramen, die Ereignisse wie „Claus Peymann kauft sich eine Hose und geht mit mir essen“ literarisch zuspitzte.

Auf der Bühne sitzt dann in grauer Knastkluft die alt gewordene Gudrun Ensslin (Renate Reiche), die sich eigentlich 1977 in ihrer Zelle das Leben nahm, laut Plot aber mal wieder neue Zähne braucht und deswegen Besuch bekommt von einem Zahnarztpaar. „Seit der Claus Peymann ein Theater in dieser Stadt hat, haben wir wieder ein Abo!“, krähen die beiden debil ins Publikum. Womit das kritische und gegenwartsbezogene Potenzial des Abends aufgebraucht ist.

Was dann folgt, ist eine gnadenlos kitschige und von keinem Schimmer der Reflexion getrübte RAF-Nostalgie-Tour. Der alten Ensslin begegnen als Gespenster der Vergangenheit u. a. Ulrike Meinhof, Andreas Baader und sie selbst. Besonders Beate Schulze und Tessa Mittelstaedt spielen die ganze Tragödinnenpalette durch, beten heulend die RAF-Leier vom Leiden am faschistoiden Deutschland nach.

Richtig schlimm wird es, als Ensslin-Sohn Felix und Meinhof-Tochter Bettina Röhl samt ihrer RAF-Kritik als lächerliche Karikaturen vorgeführt werden. Da zeigt der Abend dann wirklich sein gnadenlos dummes Gesicht. Schließlich sitzen in trauter Zweisamkeit die alte Ensslin und der noch ältere Schleyer auf der Bühne. Ensslin schlägt den Bogen von Stammheim nach Guantánamo und malt das düstere Bild einer Gegenwart, in der Deutschland eine Kolonie amerikanischer Wirtschaftsinteressen ist. „Dafür bin ich nicht gestorben!“, ruft sie pathetisch. „Aber ich“, antwortet ihr Hans-Martin Schleyer. Wie witzig! ESTHER SLEVOGT

Vorstellungen: 14., 15., 22. 9., jew. 20.30 Uhr, Tribüne, Otto-Suhr-Allee 18