„Reguläre Jobs werden verdrängt“

Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger spricht sich gegen eine Kürzung der Hartz-IV-Sätze aus. Pflicht zur Arbeit würde reguläre Stellen kosten. Andere Länder praktizierten erfolgreichere Alternativen. Gegen Arbeitslosigkeit helfe nur Wirtschaftswachstum

INTERVIEW TARIK AHMIA

taz: Herr Professor Bofinger, Ihre Kollegen im Sachverständigenrat wollen das Arbeitslosengeld II um 30 Prozent kürzen, um den Arbeitsdruck auf Langzeitarbeitslose zu erhöhen. Wieso sind Sie dagegen?

Peter Bofinger: Der Vorschlag zielt darauf ab, dass jeder ALG-II-Bezieher einen Anspruch darauf hat, zum bisherigen Regelsatz beschäftigt zu werden. Ich bin überzeugt davon, dass der Großteil der 2,8 Millionen Menschen, deren ALG II gekürzt wird, diese zugesagte Beschäftigung nachfragen würden. Wenn dann nicht genug Jobs da sind, ist das Modell gescheitert. Manche glauben, man könne durch die Arbeitsverpflichtung vor allem arbeitsunwillige Hartz-IV-Empfänger abschrecken. Doch weit über 90 Prozent der ALG-II-Bezieher wollen arbeiten. Die, die es nicht wollen, können trotzdem erst mal zur Arbeitsgemeinschaft kommen in der guten Hoffnung, dass es für sie dort keine Beschäftigung gibt, um danach weiterhin den vollen Regelsatz zu beziehen.

Könnten nicht reichlich 1-Euro-Jobs geschaffen werden?

In der Tat müssten zumindest kurzfristig ein bis zwei Millionen 1-Euro-Jobs zur Verfügung gestellt werden. Derzeit gibt es lediglich 300.000, aber schon dabei hat der Bundesrechnungshof festgestellt, dass völlig unzureichend geprüft wurde, ob diese Jobs zusätzlich und gemeinnützig sind. Viele 1-Euro-Jobs würden schon heute normale Jobs verdrängen, bemängelt der Rechnungshof. Wenn jetzt plötzlich weitere ein bis zwei Millionen staatlich geförderte Jobs dazukommen, würde dadurch reguläre Beschäftigung im Dienstleistungsbereich verdrängt, die man eigentlich fördern will.

Ganz nach der Schule neoliberaler Ökonomen glauben Ihre Kollegen, die Arbeitsnachfrage vor allem durch Lohnsenkungen erhöhen zu können.

Ich glaube nicht, dass weitere Lohnsenkungen in diesem Bereich mehr Jobs bringen werden. Viele deutsche Tariflöhne im Dienstleistungsbereich liegen bereits deutlich unter den Mindestlöhnen anderer Länder. Kaum ein Land im alten Europa hat so viel Lohnflexibilität nach unten wie Deutschland. Ausschließlich auf Lohnsenkungen zu setzen ist eine eindimensionale Art, Politik zu betreiben.

Wie sähe eine Alternative aus?

In den USA, Frankreich und England werden seit Jahren andere Modelle erfolgreich praktiziert. Hier erhalten Menschen, die regulär im Niedriglohnsektor arbeiten, vom Staat über ihre Einkommensteuer einen Zuschuss, damit sie über die Runden kommen. Man spricht von einer negativen Einkommensteuer.

Wieso hat der Sachverständigenrat das Modell der negativen Einkommensteuer nicht berücksichtigt?

Ein Grund ist sicher: Man will Mehrkosten vermeiden. Die negative Einkommensteuer würde höhere Ausgaben verursachen. Doch mit der geplanten Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung hat die Regierung schon 15 Milliarden Euro beiseitegelegt. Es wäre eine Schande, dieses Geld nach dem Gießkannenprinzip auszugeben, während man mit gezielten Lösungen für Geringqualifizierte sehr viel bessere Effekte erreichen könnte.

Ist es nicht ein Denkfehler, Massenarbeitslosigkeit allein zum Problem der Arbeitslosen zu machen, das man nur durch einen höheren Arbeitsdruck lösen kann?

Ein echter Durchbruch auf dem Arbeitsmarkt kann nur durch wirtschaftliche Dynamik erreicht werden. Maßnahmen im Niedriglohnsektor sind wichtig, aber alle Arbeitsmarktmaßnahmen sind kein Ersatz für eine Politik, die ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum wieder in Gang setzt.