Russisch für Bezirkspolitiker

Jeder neunte Bewohner in Marzahn-Hellersdorf ist Spätaussiedler. Vor allem CDU und Linkspartei haben ihren Wahlkampf darauf eingestellt

„Die Leute freuen sich, wenn ein Politiker, plötzlich Russisch spricht“

Von Marina Mai

Im äußersten Osten der Stadt, in Marzahn-Hellersdorf, sind die Stimmen der Migranten wahlentscheidend. Etwa jeder neunte der 250.000 Einwohner dort ist ein Spätaussiedler aus einem der Nachfolgestaaten der früheren Sowjetunion. Anders als viele Migranten in den westlichen Innenstadtbezirken hat fast jeder von ihnen einen deutschen Pass und ist damit wahlberechtigt.

Die Straßenzüge, in denen Spätaussiedler konzentriert wohnen, erkannte man bisher in der amtlichen Wahlstatistik oft an sehr hohen CDU-Werten – meist zwischen 40 und 70 Prozent. Bei der Bundestagswahl im vergangenen Jahr hatte die CDU bezirksweit hingegen gerade einmal 14 Prozent der Zweitstimmen geholt. Die Kohl-Regierung hat den Russlanddeutschen vermitteln können, dass sie es war, die sie in den 90er-Jahren nach Deutschland geholt hat. Zunehmend treten aber Themen wie Arbeitslosigkeit und Berufschancen für Jugendliche stärker in den Fokus als die Umsiedlung nach Deutschland. Viele Spätaussiedler sind deshalb dabei, sich im Parteienspektrum neu zu orientieren.

Für die CDU sind sie nach wie vor eine wichtige Zielgruppe. Die speziellen Veranstaltungen für Spätaussiedler, sagt Wahlkampfleiter Christian Gräff, würden diese „gut annehmen“. Fast 50 Spätaussiedler sind Mitglieder im Bezirksverband der CDU und kämpfen um die Stimmen der Russlanddeutschen. Die 51-jährige Ökonomin Maria Derr kandidiert als ihre Vertreterin auf einem sicheren Platz für die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) und auf einem allerdings aussichtslosen vierten Listenplatz für das Abgeordnetenhaus.

Wie die CDU bezieht auch die Linkspartei Spätaussiedler in ihren Wahlkampf ein. Im Wahlkampfteam von Margrit Barth arbeitet eine Spätaussiedlerin mit. „Andere Aussiedler stecken Wahlkampfmaterial in Briefkästen. Und Viktor Fromm vom Verein Lyra bewirbt sich um einen Platz für die BVV“, erzählt Barth. Die Jugendpolitikerin kandidiert im Norden Marzahns – dort, wo jeder dritte Einwohner aus den GUS-Staaten kommt. Vor allem über persönliche Kontakte will sie Stimmen gewinnen. „Vergangene Woche habe ich erfolgreich für einen Hortplatz für eine Spätaussiedlerfamilie gekämpft“, berichtet sie.

Anders bei den Grünen: Weil die Ökopartei in dem Plattenbaubezirk kaum eine Basis hat, konzentriert sie ihren Wahlkampf nicht speziell auf Russlanddeutsche, sondern auf Jugendliche. Der 24-jährige Sozialarbeitsstudent Christian Fender ist Spitzenkandidat. und hat die Erfahrung gemacht, dass junge Spätaussiedler eher politikfern sind.

Wie die Grünen hat auch die SPD keine Spätaussiedler unter ihren Mitgliedern und Wahlkandidaten. Der Europapolitiker Günther Krug von der SPD Marzahn kann bei Spätaussiedlern allerdings mit seinen guten Russischkenntnissen punkten. „Die Leute freuen sich, wenn ein Politiker, dessen Plakatbild sie kennen, plötzlich Russisch spricht. Und dann fordern sie immer wieder, ich soll etwas gegen die Arbeitslosigkeit tun.“ Diese Gespräche machten den SPD-Mann nachdenklich. „Ich frage mich dann, ob wir da nicht noch mehr tun sollten.“

Mit einer reinen Spätaussiedler-Liste will die rechte Splitterpartei Rechtsstaatliche Offensive in die BVV einziehen. Auf ihrem Flyer, den sie gegenwärtig vor Treffs von Russlanddeutschen verteilt, verzichtet sie auf alle Inhalte. „Wer denn, wenn nicht die Betroffenen selbst, können und sollen für ihre Interessen sprechen?“, heißt es stattdessen. Und auf Russisch werden die Rechtspopulisten deutlicher. Sie warnen, nicht „Stimmvieh“ für CDU und SPD zu sein, sondern stattdessen ihre „eigenen“ Kandidaten zu wählen.“ CDU und Linkspartei wurden bereits von Spätaussiedlern auf den Flyer angesprochen und gefragt, was das denn für eine Partei sei. „Eine Gefahr sehe ich in der Partei Rechtsstaatliche Offensive dennoch nicht“, sagt CDU-Mann Gräff. „Eher befürchte ich, dass die NPD in die Bezirksverordnetenversammlung einzieht. Aber deren Wähler dürften keine Spätaussiedler sein.“