Die Aussitzer

Keine „Mitwirkungsverträge“ für Sportler, dafür eine „Clearing-Stelle“: Mehr Konsequenzen will die ARD aus dem Honorarskandal nicht ziehen

Aus Schwerin Steffen Grimberg

In Mecklenburg passieren, dieser Satz wird Bismarck zugeschrieben, alle Dinge sowieso 100 Jahre später als anderswo. Von den IntendantInnen der ARD also ausgerechnet bei ihrer Sitzung in Mecklenburgs Hauptstadt Schwerin einen revolutionären Akt zu erwarten, bei dem ein sorgsam verhandeltes Personalpaket wieder aufgedröselt wird, war von vornherein wohl illusionär. Auch wenn gegen den einen der eben verlängerten, ARD-Sportkoordinator Hagen Boßdorf, ein Ermittlungsverfahren der Hamburger Justiz wegen des Verdachts falscher eidesstattliche Versicherungen läuft. Und der andere, ARD-Programmdirektor Günter Struve, gerade die alleinige Verantwortung für die unseligen Verträge der ARD mit Jan Ullrich übernommen hat.

Boßdorf macht also für fünf weitere Jahre den obersten Sportler des Senderverbundes. Und Struve bleibt jetzt mindestens bis Oktober 2008 Programmchef des Ersten – auch weil sich die ARD-Anstalten nicht auf einen Nachfolger einigen konnten. Doch mit wenigen Ausnahmen sind die ARD-Granden und ihre Kontrolleure in den Rundfunkräten mit sich im Reinen. Immerhin RBB-Intendantin Dagmar Reim stimmte gegen die Boßdorf-Verlängerung. Dennoch: Insgesamt habe „man sehr klar“ pro Boßdorf entschieden, lavierte sich der amtierende ARD-Vorsitzende und Intendant des Bayerischen Rundfunks, Thomas Gruber, um das tatsächliche Stimmenverhältnis herum. Das Ermittlungsverfahren gegen den Sportkoordinator, der beim NDR wegen seiner unklaren Rolle in Sachen Stasi nicht Sportchef werden konnte, „müssen wir ernst nehmen“, sagte Gruber: „Sollte es zu einer rechtskräftigen Verurteilung kommen, ist die Verlängerung vom Tisch.“ Das in der letzten Woche von der Stasi-Unterlagen-Behörde vorgelegte neue Material zu Boßdorf schaffe keine neue Sachlage, sondern runde „das bekannte Bild“ lediglich ab, so Gruber.

Auch Struve sprang weiter seinem Schützling bei: Für seine unklaren Auskünfte habe er Boßdorf schließlich schon die „härteste Abmahnung in 42 Berufsjahren“ verpasst, grantelte der ARD-Programmdirektor. Auch im Falle der Zusatzverträge mit dem Radsportler Jan Ullrich, der bis zu 200.000 Euro für Interviews und Sonderauftritte bei der ARD bekommen konnte, sei es falsch, jetzt „alles auf eine Person zu kaprizieren“.

Was nach drei Stunden kontroverser Diskussion übrig bleibt, stellte zumindest den obersten Vertreter der ARD-Rundfunkräte, Bernd Lenze, zufrieden: Derartige „Mitwirkungsverträge“ mit aktiven Sportlern sind künftig tabu, dies wird die ARD auf Anregung der „Konferenz der Gremienvorsitzenden“ auch in ihre „Selbstverpflichtungserklärung“ aufnehmen. Zusätzlich wird beim WDR noch eine Clearing-Stelle eingerichtet, die künftig über die Einhaltung der neuen Regeln wacht.

Und wie bei Banken gilt in der ARD nun auch das „Vier-Augen-Prinzip“: Alle derartigen Verträge werden nicht mehr nur bei der sogenannten federführenden Anstalt, sondern auch vom Justitiar des Senders, der gerade den ARD-Vorsitz innehat, geprüft. Also alles paletti im Reich der Aussitzer – Programmdirektor Struve übte sich in Demut und verkniff sich seine sonst üblichen zynischen Bemerkungen, und weil ihm das sichtlich schwer fällt, bat Gremienvorstand Lenze um Applaus.

Immerhin eine Personalie von Schwerin war nicht ganz so strittig: Den Vorsitz in der ARD übernimmt ab 2007 wie geplant der Saarländische Rundfunk unter seinem Intendanten Fritz Raff. Der hatte jüngst schon im Deutschlandfunk seine Meinung zur Lage der ARD verkündet: Man sei, so Raff, nun mal „ein Fünf-sechs-Milliarden-Unternehmen“, in dem immer irgendwo Fehler passieren könnten.