IWF sucht Identität

Vor allem die asiatischen Länder arbeiten an einer Alternative zum Währungsfonds

Wer es sich leisten kann – etwa weil Investoren Geld ins Land pumpen –, macht sich unabhängig vom IWF

VON NICOLA LIEBERT

Wenn Mexiko praktisch zahlungsunfähig ist, wenn in ganz Asien die Finanzmärkte zusammenkrachen, wenn Argentinien in tiefer Rezession versinkt – dann schlägt die Stunde des Internationalen Währungsfonds (IWF). Erst als Retter in der Not, dann als Vollstrecker neoliberaler Wirtschaftsreformen. Krisen sind gewissermaßen sein Lebenselixier. Seit einiger Zeit aber herrscht weitgehend Ruhe auf den globalen Finanzmärkten. Eigentlich erfreulich – außer für den IWF. Die Krise, die im Mittelpunkt der Jahrestagung von IWF und Weltbank im Singapur steht, ist daher seine eigene Krise, eine Identitäts- und auch Budgetkrise. Dem Fonds, der seine Kosten durch Gebühren- und Zinseinnahmen deckt, laufen die Kunden weg.

Schon vor drei Jahren zahlte Russland vorzeitig seine Beistandskredite zurück. Argentinien, das sich dem Willen des IWF ohnehin seit Jahren erfolgreich widersetzte, tilgte Ende letzten Jahres ebenso wie Brasilien vorzeitig alle Schulden beim IWF. Offiziell wurde dies mit den Zinszahlungen begründet, die man dadurch einspare. Doch „das eigentliche Ziel dieser Maßnahme ist eher politisch als ökonomisch“, wie ein Analyst der Investmentbank Bear Stearns bemerkte. „Es geht darum, sich von IWF-Auflagen zu befreien.“

Noch in den Neunzigerjahren galten die Lateinamerikaner als Musterschüler des Fonds. Doch bezahlten sie dafür mit anhaltender Stagnation und im Fall Argentiniens einer schweren Wirtschaftskrise. Jetzt haben sie genug vom IWF und seiner Politik des immer enger geschnallten Gürtels. In Umkehrung der bisherigen Verhältnisse forderte Argentiniens Präsident Nestor Kirchner sogar eine „tief greifende Restrukturierung“ des IWF.

Allein durch den vorgezogenen Ausstieg Brasiliens entgehen dem IWF nun Zinseinnahmen von fast 60 Millionen US-Dollar. Insgesamt verliert der IWF auf Grund von vorgezogenen Rückzahlungen gut 116 Millionen Dollar. Neue Kreditkunden sind kaum in Sicht. Selbst ein armes Land wie Bolivien, dessen IWF-Programm im Frühjahr auslief, entschied sich sehr bewusst gegen eine Erneuerung. Mit derzeit 27,5 Milliarden US-Dollar hat der Fonds zwei Drittel weniger Kredite ausstehen als noch vor zwei Jahren. Mit dem Geld schwindet die Macht: Auf Länder, die keine Schulden beim IWF haben, kann dieser auch keinen Einfluss ausüben.

Der Ausgangspunkt des Problems ist eindeutig zu terminieren: Alles fing an im Juli 1997. Damals erlebte Thailand einen dramatischen Kurssturz seiner Währung Baht und die Asienkrise begann. Der IWF, der die asiatischen Länder zuvor zur Deregulierung ihrer Finanzmärkte gedrängt hatte, hatte die Krise nicht vorhergesehen, konnte sie nicht verhindern und seine Rezepte zu ihrer Bewältigung versagten. Indem er die Krisenländer zu drastischen Zinserhöhungen und Ausgabenkürzungen zwang, trieb er sie nur noch tiefer in die Rezession. „Der Fonds hat damals seine Legitimität eingebüßt, und er hat sie seither nicht wiedererlangt“, bemerkte Dennis de Tray, seinerzeit Weltbank-Vertreter in Indonesien, kürzlich auf einer Veranstaltung des Carnegie Endowment for International Peace.

Die betroffenen Staaten lernten vor allem eines aus der Krise: Wer es sich leisten kann – etwa dank der gestiegenen Preise für Rohstoffexporte oder weil Investoren Geld ins Land pumpen –, macht sich unabhängig vom IWF. 2003 erklärte die Regierung von Thailand, sie habe den größten Teil ihrer Schulden gegenüber dem Fonds abbezahlt und wolle künftig ohne dessen Unterstützung auskommen. Indien und China, aber auch die Philippinen verzichten auf die Aufnahme neuer IWF-Kredite. Indonesien – der bisher zweitgrößte Kunde des IWF nach der Türkei – kündigte 2003 seinen Kreditvertrag mit dem IWF, und avisierte im Mai dieses Jahres die Abzahlung der verbleibenden Verbindlichkeiten noch vor Ende 2007.

Südkorea hat seine Währungsreserven seit 1998 mehr als verzehnfacht und braucht Attacken von Spekulanten auf den Won auch ohne IWF-Hilfe kaum noch zu fürchten. Insgesamt verfügt Asien inzwischen über Devisenpolster von gut 2,5 Billionen Dollar – mehr als das Zwanzigfache dessen, was der IWF seinerzeit zur Bewältigung der Asienkrise mobilisieren konnte.

Das Versagen des IWF in der Krise bewog die asiatischen Länder zudem dazu, die Abwehr künftiger Währungsspekulationen lieber in eigener Regie zur organisieren. Im Juli 2000 schlossen sich die Mitglieder des Regionalverbundes Asean sowie Japan, China und Südkorea zur „Chiang-Mai-Initiative“ zusammen, benannt nach dem damaligen Tagungsort in Thailand. In deren Rahmen verpflichten sie sich zum gegenseitigen Beistand im Fall von Finanzkrisen. Im vergangenen Jahr haben sie die dafür vorgesehenen Mittel auf 75 Milliarden Dollar verdoppelt. Mehr und mehr entpuppt sich die Initiative als asiatisches Gegenmodell zum IWF.

Der muss sich nun etwas einfallen lassen, um sein Finanzierungsproblem zu lösen. In der Haushaltsplanung ist eine Deckelung der Mitarbeiterzahl bei 2.800 sowie der Ausgaben auf dem derzeitigen Niveau vorgesehen – was inflationsbereinigt auf eine leichte Schrumpfung hinausläuft. Darüber hinaus erwägt der IWF, künftig für seine wirtschaftspolitischen Analysen und Ratschläge Geld zu nehmen.

Schwieriger könnte es sein, dem Fonds eine neue Identität zu schneidern. Er könnte zum Beispiel vom strengen Kreditgeber zum „Ratgeber des Vertrauens“ mutieren, schwebt IWF-Chef Rodrigo de Rato vor. „Das alte System, in dem Industrieländer im Rahmen der G 7 globale Fragen unter sich besprechen, ist überholt“, sagte er im April in Washington. Wenn der Fonds Länder nicht mehr zu einer Wirtschaftspolitik nach seinen neoliberalen Vorstellungen zwingen kann, dann soll Überzeugungsarbeit an dessen Stelle treten. Zuckerbrot statt Peitsche.

Das Problem ist jedoch, dass niemand auf die Ratschläge des IWF hören wird, so lange diese sich wie bisher einseitig auf die Probleme in den Entwicklungsländern beschränken. Auf den Norden, der mit seiner absoluten Stimmenmehrheit im Fonds dessen Politik bestimmt, versucht der IWF schon längst nicht mehr Druck auszuüben. Es fehlt ihm der Hebel dafür, seit 1976 mit Großbritannien das letzte Mal ein größeres Industrieland einen Kredit beim IWF aufgenommen hat.

Mit seiner im April angekündigten Initiative eines multilateralen Konsultationsprozesses will der IWF dieses Problem angehen. Lösungen für globale Ungleichgewichte sollen gemeinsam gefunden werden. Wenn er jedoch in seiner neuen Rolle ernst genommen werden möchte, dann darf er nicht davor zurückschrecken, die tatsächlichen Risiken für das globale Finanzsystem zu benennen. Und die finden sich derzeit vor allem in den USA mit deren gigantischem Haushalts- und Handelsdefizit. Sollte die Regierung in Washington weiterhin den IWF dafür einspannen wollen, die Entwicklungsländer und insbesondere China zu Reformen nach ihrem Gusto zu zwingen, so leistet sie damit dem Fonds und sich selbst einen Bärendienst.