Ohne Schnecken

Matmos spielten im Kino Babylon „Soundporträts“ ihrer Ikonen. Das Publikum hielt sich begeistert die Ohren zu

Das Vorhaben scheint nicht nur ungewöhnlich kopfstark, sondern regelrecht anmaßend: Die Biografien sexuell devianter Kulturikonen in Popsingle-kurzen, nun ja, „Biotracks“ zu vertonen, daran haben sich Matmos, das Traumpaar der Experimental-Electronica aus San Francisco, auf ihrem vor kurzem erschienenen Album „The Rose Has Teeth In The Mouth Of A Beast“ gewagt. Die Gefahr, dass sich die mit diesen „Soundporträts“ Geehrten – Ludwig Wittgenstein, König Ludwig II. von Bayern, Larry Levan – im Grab umdrehen, nahmen sie in Kauf. Im Babylon-Kino wollten Drew Daniel und Martin C. Schmidt am Donnerstag nicht nur die Musik dieses Albums, das als bislang zugänglichstes, ja sogar poppigstes Matmos-Werk gelobt wird, präsentieren, sondern auch dessen samplingorgienhafte Entstehung visualisieren.

Trockeneis und Biomasse

Es begann damit, dass Zeena Parkins, die New Yorker Avantgarde-Harfenistin, die die beiden live unterstützte, mit schwarzer Perücke auf die Bühne trat, um männerfeindliche Parolen ins Mikro zu diktieren. Aha!, schlussfolgerte man: Das ist jetzt wohl eine zitierende Anspielung auf Valerie Solanas, die Andy-Warhol-Attentäterin. Drew Daniel postierte sich dazu hinter zwei Laptops, Martin C. Schmidt werkelte auf einem mit Zither, Trockeneisbergen und Mikrofonen überfrachteten Tisch herum. Hinter ihnen füllte sich die Leinwand mit rätselhaften Szenen: Fleischfarbene Plastikhandschuhe befingerten eine rätselhafte Biomasse, vermutlich einen Kuh-Uterus, in dem dekorativ eine Rose steckte. Die Frage, inwiefern der dazu klickernde Electronica-Track mit Valerie Solanas’ Leben zusammenhängt und wie die Ekelhaftigkeiten auf der Leinwand mit ebendiesem Track, vergaß man vor Schauder glatt.

In einem derart angenehm desorientierenden Stil ging es dann weiter. Ob Matmos zu Ausschnitten aus James Bidgoods Erotica-Klassiker „Pink Narcissus“ schwülstiges Gewaber fabrizierten oder für das Porträt von William Burroughs einen psychedelischen Ragtime tröteten: Irgendwann hatten sich immer so viele Loop-Schleifen und Feedbacks aufeinandergetürmt, dass sich nicht mehr entschlüsseln ließ, wer gerade für welchen Krach zuständig war.

Matmos’ Verdienst im Babylon war somit nicht nur, die Idee der visuell begleiteten Sampling-Musik in eine zwingendere Form zu bringen als im vergangenen Jahr noch Matthew Herbert mit seinem überambitionierten Food-Projekt „Plat du Jour“: Sie schafften es auch, dass ihre Zuhörer – dem Aussehen nach nicht nur Spex- und Wire-Abonnenten, sondern auch Sound-Studies- und Audio-Engineering-Studenten – zum Schluss begeistert nach Zugaben verlangten, obwohl sie sich vorher schon mal die Ohren zugehalten hatten. Bedauerlich war eigentlich nur, dass Matmos auf die Darbietung des Stücks verzichteten, dessen Genese sich im Booklet zu „The Rose Has …“ noch am wahnwitzigsten gelesen hatte: Für das Soundporträt der „Tom Ripley“-Schöpferin Patricia Highsmith schickten die beiden im Studio angeblich deren Lieblingstiere, Schnecken, durch einen von Laserstrahlen durchzuckten Theremin-Äther. Das hätte man gerne noch gezeigt bekommen. JAN KEDVES