Wowereit spielt Koalitionspoker

Rot-Rot oder Rot-Grün? In Berlin geht es bei der Suche nach einem SPD-Koalitionspartner auch um Klaus Wowereits Ambitionen im Bund

BERLIN taz ■ Renate Künast weiß, was Klaus Wowereit will. Mit bundespolitischen Vorteilen versucht die Grünen-Fraktionsvorsitzende im Bundestag den Berliner Wahlsieger von einer rot-grünen Koalition zu überzeugen. Dieses Bündnis eröffne dem SPD-Politiker „auch die Chance, persönlich ein kleines Feuerchen in der Bundespolitik zu entfachen“, sagte Künast gestern. Damit zielt die Grüne auf einen zentralen Punkt bei der Berliner Partnersuche. Wowereits Entscheidung hängt mit seinen bundespolitischen Ambitionen zusammen: als Parteivize Ende 2007, als möglicher Kanzlerkandidat 2009.

Wowereit hat die Wahl. Grüne und Linkspartei kommen nach vorläufigem Stand auf jeweils 23 Abgeordnetenhausmandate. Gemeinsam mit den 53 SPD-Parlamentariern hätte sowohl Rot-Rot als auch Rot-Grün demnach eine knappe Ein-Stimmen-Mehrheit. Dennoch wollen die Sozialdemokraten derzeit keine Sondierungsgespräche über ein rot-rot-grünes Bündnis führen.Wowereit stellen sich zwei Fragen: Mit wem kann er komfortabler koalieren? Und welches Bündnis verspricht die bessere Ausgangslage für seine angekündigte „Einmischung“ in die Bundespolitik?

Gestern gaben sich die Sozialdemokraten als erfahrene Pokerspieler. Die Partei wolle ergebnisoffen in die Gespräche mit den möglichen Koalitionspartnern gehen, kündigte der SPD-Landesvorsitzende Michael Müller an. Zuerst werde seine Partei mit der Linkspartei und dann mit den Grünen sondieren. Die Gespräche sollen noch diese Woche beginnen. Nach etwa 14 Tagen will die SPD über ihren künftigen Koalitionspartner in Berlin entscheiden. Wowereit sagte vor einer Sitzung der SPD-Präsidiums, es komme darauf an, „mit welchem Partner das große Thema soziale Gerechtigkeit besser verwirklicht werden kann“. Das heißt: Wer der SPD größere Zugeständnisse macht, darf mitregieren.

Für eine weitere Zusammenarbeit mit der Linkspartei spricht aus SPD-Sicht deren Gehorsam. Murrend, aber verlässlich haben die Sozialisten fünf Jahre lang Kürzungen im öffentlichen Dienst, Verkäufen landeseigener Wohnungen und Unternehmensprivatisierungen zugestimmt. Ihr Absturz in der Wählergunst würde die Linkspartei Einfluss in der Koalition kosten – zugunsten einer erstarkten SPD. Von ihren drei Senatorenposten würde sie voraussichtlich einen verlieren.

Doch was bedeuteten fünf weitere Jahre Rot-Rot für die bundespolitische Karriere des immer selbstbewusster auftretenden Regierungschef? Im Wahlkampf hat Wowereit angekündigt, als einer von nur fünf SPD-Ministerpräsidenten künftig mehr im Bund mitreden zu wollen. Ob Rot-Rot ihm dabei nützt, ist umstritten. Bei der Bundestagswahl 2009, argumentieren Beobachter, könnte an einer Koalition links der Mitte kein Weg vorbeigehen. Dann stünde Wowereit als erfolgreicher Vorreiter neuer Bündnisse bereit. Andere Stimmen befürchten, das Odium des Sozialistenlieblings könne Wowereits Ansehen bei konservativeren SPD-Sympathisanten bundesweit schaden.

In Richtung Rot-Grün drängen den Regierungschef viele Berliner Genossen. Die Mehrheit der Parteibasis hat sich nie mit den PDS-Leuten angefreundet, ihre Sympathie gilt den Grünen. Die haben sich im Wahlkampf zwar als „unbequemere“ Option verkauft. Doch inhaltlich unterscheidet die Mannschaft um die langjährige Bundestagsabgeordnete Franziska Eichstädt-Bohlig nur wenig von der zahmen Linkspartei. Mit einer Entscheidung für die Grünen würde der karrierebewusste Wowereit die sichere Karte ziehen: Rot-Grün ist eine etablierte Marke.

Die anstehenden Sondierungsgespräche werden für die Grünen dennoch eine Lektion in Demut. Auch Wowereit, der harte Verhandler, weiß, wie sehr es die Grünen zurück in die Regierungsverantwortung zieht. An einer knappen Mehrheit werden beide Seiten daher mögliche Koalitionsverhandlungen nicht scheitern lassen. Dafür war Künasts Angebot, ein „kleines Feuerchen zu entfachen“, einfach zu einladend. MATTHIAS LOHRE