Auf Landesticket in die weite Welt

Was machen Musikexportbüros? Länderabende natürlich, die den universellen Spirit des Pop zerlegen und territorial umzäunen. Dennoch ist ihre Unterstützung auf der Popkomm willkommen, schon wegen der Reisekosten für Musiker

Im letzten Jahr konnte Litauen einen Anstieg seiner Exporte um 30 Prozent verbuchen, nun soll das Musikgeschäft angekurbelt werden

VON JAN KEDVES

Man hat fast schon wehende Nationalflaggen vor Augen. Beim Blick ins Programmheft des heute beginnenden Popkomm-Festivals (siehe auch Seite 16), das in vier Nächten 400 Acts aus 26 Ländern auffahren wird, sind sie kaum zu übersehen: die Länderabende. „Sounds from Spain“, „Neue Holländische Welle, „Canadacoustics“, „Norwegian Night“. So häufig sonst betont wird, Musik, vor allem Popmusik, habe die Kraft, Grenzen einzureißen – hier bekommt man den Eindruck, die Fußball-WM habe nie aufgehört und werde nun mit musikalischen Muskelspielen fortgeführt.

Länderabende wie diese erklären sich rasch, achtet man auf die kleinen Logos der Veranstalter: Hinter ihnen steht meist ein Sponsor in Form eines nationalen Musikexportbüros. Sie unterstützen Künstler nationaler Labels mit Promotion im Ausland sowie mit Reisekostenzuschüssen. Blaupause für diese Institutionen, die meist zur Hälfte von öffentlicher Hand und von Wirtschaftsverbänden getragen werden, ist das Bureau Export de la Musique Française. Seit dessen Gründung 1993 haben sich die Verkaufszahlen französischer Musik im Ausland verzehnfacht. Kein Wunder, dass mittlerweile überall ähnliche Organisationen ins Leben gerufen werden.

Jüngstes Beispiel: Litauen. Im letzten Jahr konnte Litauen einen Anstieg seiner Exporte um 30 Prozent verbuchen, nun soll das Musikgeschäft angekurbelt werden – zum Beispiel mit dem Auftritt der litauisch rappenden Hiphop-Truppe G&G Sindikatas beim Popkomm City Jam am Freitag. „Wir haben den Ehrgeiz, mit litauischer Musik im europäischen Markt Fuß zu fassen“, erklärt Daiva Parulskiene, Leiterin des vor zwei Monaten in Vilnius gegründeten Litauischen Musikexportbüros. „Warum nicht mit Hiphop?“

Auch wenn territoriale Eingrenzungen von Musik im Zeitalter von MySpace längst nicht mehr einleuchten: Popkomm-Manager Dirk Schade, der sich in diesem Jahr durch 2.300 Bewerbungs-CDs gehört hat, kommt dem Wunsch nach Länderabenden gerne nach. Bei diesem durchaus heiklen Aufeinandertreffen kuratorischer und ökonomischer Interessen behält er allerdings das letzte Wort. „Länderabende müssen letztlich immer eine Zusammensetzung musikalischer Farben sein, die auch zusammenpassen.“

Bei Veranstaltungen wie dem Südafrika-Tag am Donnerstag im Duncker, bei dem vier Bands das Rock-Spektrum von Emo bis Nu Metal abdecken, kann das gelingen. Ebenso bei Brasilien, das gleich mehrere Sektionen anbietet: „Brasil Plural“, „Brasil Global“ und „Brasil Digital“. Doch bei einem Event wie „Denmark @ Popkomm 2006“, bei dem – unterstützt von Music Export Denmark – heute Abend neben Rockabilly-Acts und Singer/Songwritern auch die Juxpopper Junior Senior auf der Bühne stehen werden, scheint die Mischung dann doch etwas arg bunt.

Dabei muss die Arbeit eines Musikexportbüros gar nicht zu derart unilateralen Veranstaltungen führen. Clone beispielsweise, ein angesehenes House-Label aus Amsterdam, konnte sich für seine Labelnacht am Freitag im 103, bei der sowohl holländische als auch deutsche Künstler auftreten, die Unterstützung von Buma Cultuur, dem holländischen Musikexportbüro, sichern – obwohl die Party zeitgleich zur weit offensiver als nationale Veranstaltung gelabelten „Neue Holländische Welle“-Nacht in der Kulturbrauerei stattfindet.

„Wir haben die Erfahrung gemacht, dass man einen Länderabend nicht wirklich braucht, um Musik erfolgreich zu promoten“, sagt denn auch Daniel Winkel vom Berliner Bureau Export de la Musique Française. Er hält in diesem Jahr den Überblick über insgesamt sechzehn französische Showcases auf der Popkomm – von der Chansoniere Brisa Roché bis zu den Electro-Hipstern des Pariser Labels Ed Banger. All diese Künstler auf „zielgruppenaffine Venues“ zu verteilen, bedeutet zwar mehr Aufwand. Doch Winkel ist der Überzeugung, dass es in Berlin, wo das Publikum „sehr anspruchsvoll“ sei, keinen Sinn mache, völlig verschiedene Bands auf Teufel komm raus an einem Ort zusammenzubringen.

Der universelle Spirit des Popkomm-Festivals, er weht dann doch am stärksten bei den Konzerten, für die verschiedene Labels von sich aus über Ländergrenzen hinweg gemeinsame Sache machen – wie etwa beim morgigen Double Feature des Hamburger Labels Ladomat und des Pariser Labels F-Com, oder bei der heutigen Handreichung zwischen Monika Enterprise (Berlin), CCO (Berlin/Manchester) und Domino (London). Dabei geht es den drei Indietronica-Labels nicht nur darum, Kosten zu teilen. „Wir kennen uns, wir verstehen uns, wir ziehen musikalisch an einem Strang“, erklärt Gudrun Gut von Monika Enterprise. „Da macht eine gemeinsame Veranstaltung Sinn – auch wenn wir eigentlich Konkurrenten sind.“