Kleine Morde unter Freunden

In der Kneipe, bei einem Glas Wein, werden Parteifreunde eingeschüchtert, Gefälligkeiten versprochenAm Wahlabend wird der Druck für Landespolitikerin Freimuth zu groß: Sie übergibt sich mehrmals

von ANNIKA JOERES

Er ist verrückt geworden, heißt es aus dem Landesvorstand der FDP. Er rede seltsame Dinge, ist aus der Kreispartei zu hören. Er habe den Tod seines Lebensgefährten nicht verkraftet, flüstern Liberale. Daniel Sodenkamp, 39 Jahre alt, ehemaliges Mitglied des Landesvorstandes und noch amtierender Kreisvorsitzender in Ennepe-Ruhr, scheint den Verstand verloren zu haben. „Ich bin nicht verrückt“, sagt der elegant gekleidete Psychologe. Er guckt auf den Düsseldorfer Rhein, der Nadelstreifenanzug schlackert um seine Beine, das rosa Hemd wirft Falten. „Es gibt eine Kampagne gegen mich.“

Daniel Sodenkamp sollte einmal was werden in der Partei, in der er seit 19 Jahren Mitglied ist: Einst rückte er für Möllemann in den Landtag nach, wurde noch im März mit 98 Prozent zum Kreisvorsitzenden gewählt. Forschungsminister Andreas Pinkwart stellte ihm kurz nach der Wahl einen Posten als Leiter der Gruppe 31 in Aussicht, zuständig für Forschungs- und Technologiepolitik. Die öffentlich ausgeschriebene Stelle wurde offensichtlich auf Sodenkamp zugeschnitten. Pinkwarts Sekretärin schrieb in einer Mail vom 4. November 2005: „Herr Minister Pinkwart bat mich, Ihnen die Stellenausschreibung zukommen zu lassen. [...] Ich durfte dies erst, nachdem diese in [...] der Zeit veröffentlicht wurde. Ich hoffe, dass Sie sich bewerben werden.“ Sodenkamp bewarb sich, wurde aber nicht genommen. „Die Schmutzkampagne hatte schon vorher begonnen“, sagt er.

Denn Sodenkamp beging einen entscheidenden Fehler: Er hat sich in dem System der NRW-FDP mit den Falschen angelegt. Er störte das feine Netz aus Intrigen und Absprachen, telefonischen Drohungen und Versprechen, mit dem die Posten in der Partei auf Jahre fest verteilt sind. „Ich habe nicht am Netzwerk gesponnen“, sagt Sodenkamp.

In seinem Bezirksverband Westfalen-West, einer von neun in NRW, ging es bei der vorgezogenen Bundestagswahl 2005 um einen einzigen Platz in Berlin. Den hatte bislang Helga Daub inne, diesmal meldete Sodenkamp sein Interesse an, ebenso wie am Bezirksvorstand. Erst als ihm der Job bei Pinkwart sicher schien, zog er zurück und schlug Konrad Schily vor. „Ich hätte nie gegen Sodenkamp kandidiert“, sagt Schily heute. Der Mediziner ist der Bruder von Ex-Innenminister Otto Schily (SPD) und ein bekannter Neuzugang der FDP.

Der aufsteigende Jungpolitiker Sodenkamp wurde zu stark. „Er wurde immer bekannter“, sagt Peter Heiner, Vorstandsmitglied in Witten. Der Kommunikationswissenschaftler ist überzeugt: „Sodenkamp wird seitdem massiv gemobbt.“ Er habe es versäumt, eine einflussreiche Clique um sich zu bilden. „Sodenkamp wird diesen Kampf verlieren.“

Sodenkamp hat die ungeschriebenen Gesetze der liberalen Partei verletzt. Eine Partei, die Jürgen Möllemann vor sechs Jahren mit rechtspopulistischen Kampagnen in den Landtag gebracht hat. Kompetenz zählt in der Post-Möllemann-Ära wenig, wichtiger ist die Herkunft, die Größe des UnterstützerInnenkreises. Führung entsteht durch die Anzahl der Vertrauten. In der kleinen Partei, die in den meisten Ortsverbänden oft nur ein bis zwei Dutzend aktive Mitglieder hat, zählen persönliche Kontakte, Kneipengespräche. In heimeliger Atmosphäre, bei einem Glas Wein, werden Parteifreunde eingeschüchtert, werden ihnen für die Zeit nach der Wahl kleine Gefälligkeiten versprochen, der Auftritt eines Bundespolitikers im Wahlkreis, Mitgliedschaften in Ausschüssen. Die Wahl ist oft nur noch Routine, die GewinnerInnen stehen vorher fest.

Auch Sodenkamp nutzte das Spiel. Er soll bei der Abstimmung über den Bundestagskandidaten versucht haben, Stimmen von abwesenden Delegierten auf sich zu übertragen und für Schily zu stimmen. Die Übertragung kam letztendlich nicht zustande, gewählt wurde trotzdem Konrad Schily. Trotzdem: Der Vorfall war Anlass genug, Sodenkamp vor das Landesschiedsgericht der FDP in NRW zu ziehen.

Der Kreisvorsitzende des Märkischen Kreises, Armin Jung, zeichnete den Antrag ans Parteigericht. Ein seltener Vorgang. Das Gericht soll eine Ordnungsmaßnahme gegen Sodenkamp verhängen. Entworfen hat den Antrag aber ein Mann im Hintergrund: Axel Hoffmann, Multifunktionär der Landes-FDP.

Der Strippenzieher sitzt an einflussreichen Stellen der Liberalen, ist Vorsitzender ihrer Wolfgang Döring-Stiftung, stellvertretender Vorsitzender der Friedrich Naumann-Stiftung. Hoffmann war schon Ministerialdirektor im Bundesforschungsministerium und Büroleiter von Jürgen Möllemann. Er kennt das Geschäft. Wie einst Möllemann agiert er im Hintergrund, taucht immer dann auf, wenn es um wichtige Formulierungen in Protokollen geht, um Abstimmungen über Kandidaten. „Wenn ihr nicht spurt, knallt es“, soll er laut einem Amtsträger gesagt haben. Seine Machtinstrumente: Kontakte zur Landesregierung, er soll mitbestimmen, wer in Ausschüsse gelangt, die Karriereleiter besteigen kann. Die Hände machen sich andere schmutzig. „Ich habe nichts mit dem Fall Sodenkamp zu tun“, sagt er. „Ich habe keinen Antrag ans Schiedsgericht gestellt.“ Jeder, der das Gegenteil behaupte, würde vor Gericht landen, donnert er durchs Telefon. Aber auch er muss nach einer Weile zugeben, den Antrag zwar nicht unterschrieben, aber doch „eine Vorlage“ in die Vorstandssitzung gebracht zu haben. Bei dem mittlerweile zurückgetretenen Jung hört sich das anders an. Er sucht nach den richtigen Worten. „Herr Hoffmann hat den Antrag bei uns eingebracht“, sagt er zögerlich, die anderen seien einverstanden gewesen.

Wozu der ganze Aufwand? Sodenkamp wurde im Bezirksverband zunehmend zum Gegenspieler von Angela Freimuth, die heutige Vorsitzende des Bezirks, Vizepräsidentin des Landtags und stellvertretende Landesvorsitzende. Ihr Mann: Axel Hoffmann. Seit Jahren verheiratet, siezen sich beide auf Partei-Veranstaltungen, auch wenn alle anderen sich duzen. Er spricht von „der Bezirksvorsitzenden“. Das Ehepaar hat seine Rollen gut verteilt: „Sie ist der good cop, er der bad cop“, heißt es.

Für Freimuth ist die Abstimmung über ihren Bezirksvorsitz existenziell: Als Landespolitikerin hätte sie ohne Rückhalt aus ihrer Heimat keine Chance mehr gehabt. Selbst Pinkwart rückt aus Düsseldorf an, um Freimuth zu loben, Sodenkamp unerwähnt zu lassen. Am Wahlabend wird der Druck für sie zu groß. Kurz vor der Auszählung der Stimmen rennt sie zum Klo, zieht ihre Kostümweste aus und übergibt sich mehrmals. Eine Parteifreundin sitzt in der Nachbartoilette. Kurz danach feiert sie ihren Sieg: Freimuth wird mit zwei Dritteln der Stimmen zur Bezirksvorsitzenden gewählt. Sodenkamp unterliegt.

Wer in der Partei an der Seite der Unterlegenen steht, verliert selbst. Sodenkamps Rückhalt ist in den Monaten zuvor geschwunden. Nur wenige halten zu ihm. Als der märkische Kreisvorstand beschloss, Sodenkamp vors Landesschiedsgericht zu stellen, war die damals stellvertretende Kreisvorsitzende Claudia Kaluza im Urlaub. „Ich wurde bewusst nicht informiert.“ Es sei ungeheuerlich, gegen einen Parteifreund zu prozessieren. Als Kaluza öffentlich widerspricht, wird sie in die Mangel genommen: Sie stört den Chor der Meinungsführer. Dreieinhalb Stunden reden Hoffmann und seine Getreuen auf sie ein. Sie solle schweigen. „Es gab ein massives Gespräch“, sagt Hoffmann nur.

Auch Regine Sewing, Kreisschatzmeisterin der Liberalen in Ennepe-Ruhr, sagt: „Alle, die hinter Sodenkamp stehen, werden fertig gemacht.“ Sodenkamp habe die Rangordnung in der Partei gestört. Bis dahin war die FDP eine Familienveranstaltung: Die Liberalen gratulierten sich zum Geburtstag, feierten gemeinsam die Taufe von Kindern, aßen Martinsgans, besuchten sich im Krankenhaus. Als Sewing zu Sodenkamp hielt, hörte all dies schlagartig auf. „Da ist nichts mehr“ sagt sie, kein Geburtstagsgruß, keine Weinabende.

Sewing ist dabei, als Sodenkamps Stellvertreter im Ennepe-Ruhr-Kreis ihm seinen Rücktritt nahe legten. Es ist der 16. Mai, sie und Sodenkamp sind zu Gast bei Michael Schwunk, Bodo Middeldorf ist ebenfalls anwesend. Wie immer in der FDP werden wichtige Gespräche im privater Atmosphäre geführt. Eine Flasche Wein wird geköpft, auf das neue Haus von Schwunk angestoßen, seine Kinder toben im Nebenzimmer. Mit dem Weinglas in der Hand bitten Schwunk und Middeldorf um Sodenkamps Rücktritt. Damit „Ruhe in die Bude kommt“, sagen sie. Sodenkamp wehrt sich. Sewing erinnert sich: „Wir werden Mittel und Wege finden, Dich abzusägen“, sagen die Gastgeber.

Letzten Endes haben die Partei-RichterInnen Hoffmann und Co eine große Schlappe eingebracht: Ihre Anträge wurden zurückgewiesen, sie seien unzulässig. Es fehle jedes „Feststellungsinteresse“, heißt es in der Ende Juni formulierten Begründung.

Das Urteil konnte die Rufmord-Maschine aber nicht mehr stoppen. Die Jagd auf Sodenkamp war vor langer Zeit eröffnet, der Oberste hatte das Signal gegeben. Sodenkamp ist geschwächt, der Kreisverband will nicht auf der Seite eines Menschen stehen, der mächtige Gegner hat. „Konformitätsdruck“, nennen das die Sozialpsychologen. Der Geschwächte muss aus der Gruppe geholt werden. Sodenkamp wird zur persona non grata, Parteifreunde fangen an, ihn zu siezen, die Flasche Wein bleibt geschlossen.

Wenn Sodenkamp nicht freiwillig gehen will, muss er gezwungen werden. Bodo Middeldorf will seinen Vorsitzenden „entfernen“. Er und zwei weitere Vorstandskollegen starten einen Misstrauensantrag gegen Sodenkamp. Ein bundesweit einmaliger Vorgang. „Wir sind isoliert“, sagt Middeldorf. „Wir müssen ihn loswerden.“ Sodenkamp sei unberechenbar, das müsse er leider so sagen. Middeldorf gibt zu: „Die Nummer mit dem Schiedsgericht war übel“, damals habe der Machtkampf begonnen. Aber zwischen wem? Nun ja, Hoffmann habe eine hohe Bedeutung, aber Strippenzieher? Nein, das wolle er nicht gesagt haben.

Auf einem Kreisparteitag im Oktober soll nun der Misstrauensantrag angenommen und über die Entlassung des Vorstandes abgestimmt werden. Das erforderliche Drittel an Parteimitgliedern hat inzwischen den Antrag unterschrieben, sagt Middeldorf. Natürlich habe er in „persönlichen Gesprächen“ viel Überzeugungsarbeit leisten müssen. „Aber ganz ohne Druck“, das sei ihm wichtig. Die Unterschriftensammlung wurde zu einem Selbstläufer, Parteimitglieder wurden zu Abnickern. „Viele dachten: Wenn schon so viele dafür sind, kann es ja nicht falsch sein“, sagt Middeldorf. Nach der Abstimmung im Oktober könnte der 39-Jährige Sodenkamps Platz einnehmen. Dann hätte Daniel Sodenkamp auch sein letztes Amt in der FDP verloren. Austreten möchte er nicht. „Den Gefallen tue ich ihnen nicht“, sagt er leise. Er werde jetzt ein ganz bürgerliches Leben führen, das sei auch schön.