„Wie ein Tintenfleck auf einem Löschblatt“

Die NPD hat in Mecklenburg-Vorpommern Erfolg, weil sie jene anspricht, die die anderen Parteien aufgegeben haben. Um die NPD zu stoppen, müssen sich die demokratischen Parteien wieder dem nichtakademischen Milieu zuwenden

taz: Die NPD ist in einigen Gemeinden im Nordosten von Mecklenburg-Vorpommern erstmals stärkste Partei geworden – nun ist die Aufregung groß. Sie leben in einem Dorf in Ostvorpommern. Finden Sie den Alarm übertrieben?

Günther Hoffmann: Auf keinen Fall. Die NPD breitet sich hier aus wie ein Tintenfleck auf dem Löschblatt. Erst vor zwei Jahren ist sie mit einem Abgeordneten in den Anklamer Stadtrat und mit zweien in den Kreistag eingezogen. Nun liegt sie in einigen Gemeinden bereits über dreißig Prozent. Das heißt, sie könnte dort bereits die Bürgermeister stellen.

Allzu große Kompetenzen haben Dorfbürgermeister nicht. Was hätte die NPD überhaupt von solchen Posten?

Es ist richtig, dass die kommunale Selbstverwaltung den Bürgermeistern kleiner Gemeinden eingeschränkte Kompetenzen lässt. Die Bürgermeister könnten aber die Dorfgemeinschaft zusammenführen, sie könnten die dörfliche Kultur wieder entwickeln – all das, was in dieser Gegend in den letzten 15 Jahren weggebrochen ist. Damit könnte die NPD zumindest die Stimmungslage in den Orten verbessern. Jeder dieser Posten wäre eine weitere Werbeplattform.

Wie können die demokratischen Parteien die Machtübernahme durch die NPD stoppen?

In vielen Orten müssen sie bei null wieder anfangen. Die demokratischen Kräfte müssen sich selbst wieder um Jugendarbeit kümmern oder Nachbarschaftshilfe aufbauen. All das kann nur mittel- bis langfristig gelingen.

Die nächsten Kommunalwahlen in Mecklenburg-Vorpommern sind bereits in drei Jahren. Reicht das, um Orte wie Postlow zurückzugewinnen?

Ich fürchte, eher nicht.

Die demokratischen Parteien haben bei vielen Menschen in der Gegend einen ganz schlechten Ruf. Warum?

Die Leute haben hier einfach schlechte Erfahrung mit den Lokalpolitikern gemacht. Das Auftreten von den Provinzeliten der demokratischen Parteien ist oft durch eine maßlose Arroganz gekennzeichnet. Dem setzt die NPD etwas entgegen. Da machen die Leute neue Erfahrungen im Umgang mit Kommunalpolitikern.

Was machen die Rechtsextremen denn so viel besser?

Die bemühen sich um Bürgernähe. Wenn der NPD-Kommunalpolitiker Michael Andrejewski in Anklam im Supermarkt einkauft, dann redet er mit den Leuten in der Kassenschlange. Wenn ich hier die Kameradschaftsfunktionäre herumstehen sehe, dann unterhalten die sich mit den Leuten. Die hören den Menschen zu. Das wird in den Kameradschaften sogar gepredigt. Und die NPD hat angekündigt, dass Andrejewski demnächst auch noch ein Bürgerbüro in Anklam eröffnet und dort Hartz-IV-Beratung anbietet.

Wie sollten die anderen Parteien darauf reagieren?

Die müssen jetzt Gegenangebote machen. Sie müssen in den Orten mehr Präsenz zeigen. Da dürfen sie sich in der ersten Zeit auf erhebliche Unmutsäußerungen der Bürger gefasst machen. Aber diese Phase müssen sie aushalten, um mit den Wählern überhaupt erst mal wieder in einen konstruktiven Dialog zu kommen.

Das ist alles leicht gesagt. Bloß haben die Parteien kaum Mitglieder in diesen Regionen. Und sie können ja keinen zwingen, sich bei ihnen zu engagieren.

Sie könnten sich aber endlich darum bemühen, auch Nichtakademiker für die Mitarbeit zu gewinnen. Die Nachwuchsorganisationen sind in der Regel nur auf Jungakademiker aus dem studentischen Milieu zugeschnitten. Die haben wir hier nicht zu bieten. Die Parteien müssen daher dringend neue Konzepte für den ländlichen Raum entwickeln.

Wenn man sich die NPD-Arbeit in den Kommunalparlamenten anschaut, sieht man: Da ist meist wenig bis nichts gelaufen. Wieso sollte die NPD im Landtag erfolgreicher agieren?

Wenn man bei der NPD die gleichen Maßstäbe anlegt wie bei demokratischen Parteien, dann kann man tatsächlich zum Schluss kommen: Da läuft alles schief. Aber der strategische Ansatz der NPD ist ein völlig anderer. Es geht der NPD nicht um konstruktive Parlamentsarbeit. Sie will in erster Linie polarisieren und die Negativstimmung in der Bevölkerung verstärken.

Die NPD hat den Bürgern aber im Wahlkampf allerhand versprochen, was sie nie verwirklichen kann im Landtag. Das werden die Wähler merken.

Die NPD hat Bedürfnisse und Defizite formuliert. Und zu all diesen Themen wird sie sich im Landtag populistisch äußern. Sie hat dabei den Vorteil der Opposition. Sie wird so tun, als mache sie konstruktive Vorschläge – die von den anderen abgelehnt werden. Der Landtag wird für die NPD nichts weiter sein als eine Bühne, auf der sie polternd versucht, Volkes Meinung zu vertreten. Das genügt ihr völlig.

INTERVIEW: ASTRID GEISLER