Jugendstudie: „Die Toleranz sinkt“

Die Jugend in Deutschland ist zunehmend verunsichert, zeigt die aktuelle Shell-Jugendstudie. Weniger wollen Kinder, weniger sind offen gegenüber Ausländern. Zwei Drittel der ausländischen Jugendlichen fühlen sich wegen der Nationalität diskriminiert

VON COSIMA SCHMITT

Sie fänden es besser, wenn Zuwanderer in ihrer Heimat blieben. Jeder Dritte hält nichts davon, neben Aussiedlern aus Russland zu wohnen. Die Jugendlichen stehen Ausländern ablehender gegenüber als noch vor wenigen Jahren. „Die Toleranz sinkt“, sagt der Soziologe Klaus Hurrelmann, der gestern in Berlin die Ergebnisse der 15. Shell-Jugendstudie vorstellte. Zwar sind junge Menschen immer noch toleranter als die Restbevölkerung, aber die Offenheit schwindet. „Natürlich sind es vor allem die sozial Benachteiligten, die solche Vorbehalte äußern“, sagt Hurrelmann. „Aber auch die gut Gebildeten lassen sich ein Stück weit von dem Trend anstecken.“

Das Ergebnis überrascht. Die Vorgängerstudie aus dem Jahr 2002 hatte das Bild einer weltgewandten Generation entworfen, die gern ins Ausland reist und die kulturelle Vielfalt schätzt. Nun aber bemerken die Autoren vielfach eine „verengende Besinnung auf den eigenen Kulturkreis“. 58 Prozent der Befragten finden, dass die Zuwanderung nach Deutschland begrenzt werden müsse. Skeptischer als ihre Vorgänger blickt sie auf die Globalisierung und den europäischen Einigungsprozess.

Dass sich die Gesinnungen wandeln, konnten auch die befragten Ausländer bezeugen. 2002 etwa klagte nur etwas mehr als jeder Zweite, schon einmal wegen seiner Herkunft benachteiligt worden zu sein. Jetzt aber gaben zwei Drittel an, sie würden „ab und an“ oder sogar „oft“ wegen ihrer Nationalität diskriminiert. Warum aber ist das so? Reift hier eine Generation heran, die bereitwillig plumpe Vorurteile aufnimmt?

Die Autoren der Studie sehen das diffenzierter. Zum einen seien Jugendliche „zunehmend irritiert von Kulturmustern, etwa einem islamischen Hintergrund, die schwer in unserer Werteordnung integrierbar erscheinen“. Zum anderen aber bemerkten sie eine tiefgreifende Verunsicherung.

Die Studie zeichnet das Bild einer Jugend, die sehr leistungsbereit ist – aber stark daran zweifelt, dass sich überhaupt jemand für ihre Leistung interessiert. Stärker als zuvor bangt sie, später ohne Job, ohne Geld und ohne Rente dazustehen. „Schon Schüler sorgen sich um ihre Altersvorsorge“, sagt Hurrelmann.

So verwundert es die Forscher nicht, dass angesichts der harten Berufswelt ein weiterer Trend andauert: Die Rückbesinnung auf den Glückshort Familie. Der Jugend heute ist ihre Familie noch wichtiger als der 2002. Das traute Heim mit Vater, Mutter, Geschwistern „ist der Heimathafen“, so Hurrelmann. Neun von zehn jungen Menschen sagen: Ich verstehe mich gut mit meinen Eltern. Je höher der Bildungsgrad, desto ausgeprägter die Harmonie am Familientisch. „Familie“ definieren die jungen Leute dabei vor allem als Zusammensein mit den Eltern: Heiraten findet nur noch jeder Dritte wichtig. Eigene Kinder wünschen sich gerade noch 69 Prozent der jungen Frauen – und nur 57 Prozent der jugendlichen Männer.

Ob darüber hinaus ein Wandel hin zu traditionellen Werten stattfindet, lässt sich aus der Studie nicht eindeutig ableiten. Zwar zeigt sie, dass Sekundärtugenden wie Fleiß und Ehrgeiz an Bedeutung gewinnen. Doch das lässt sich ebenso als Reaktion auf einen härteren Konkurrenzkampf in der Berufswelt deuten.

Ein Vorurteil immerhin kann die Studie entkräften: Teile der Jugend mögen politikverdrossen sein – aber insgesamt interessiert sich die Jugend wieder stärker für Parteipolitik. Die Forscher beobachten allerdings ein Auseinanderdriften: Das stärkere Interesse am Tun von Merkel, Müntefering und Co. bemerken sie ausschließlich bei Gymnasiasten und Studierenden.

Die große Masse aber bleibt desinteressiert. Und gerade im Osten wächst die Unzufriedenheit über die Demokratie. Insofern überrascht es Hurrelmann nicht, dass in Mecklenburg-Vorpommern besonders viele Jungwähler für die NPD stimmten. „Die Parteien sollten mehr auf die jungen Leute zugehen“, sagt der Forscher. „Sie dürfen das nicht den Rechtsextremen überlassen.“