Businessplan für Ökos

In der Initiative „Culture is it!“ treffen sich Künstler, Bauern, Beamte und Banker. Sie basteln bereits zum zweiten Mal an einer gerechteren Zukunft in einer kreativeren Stadt. Eine kleine Revolution

VON NINA APIN

Der Clubraum in der Akademie der Künste am Hanseatenweg hat den Charme einer Aussegnungshalle. Ein Kreis aus dunklen Stühlen, vorne ein Rednerpult, ein stark riechendes Blumengebinde in der Raummitte, das den Blick auf den Boden lenkt. Doch die dreißig Damen und Herren, die hier Platz nehmen, wollen nichts zu Grabe tragen – im Gegenteil. Sie sitzen zusammen und arbeiten an der Zukunft der Gesellschaft. Und die liegt, das lässt der Name der Veranstaltung ahnen, nicht im technologischen Fortschritt, nicht in der Wirtschaft oder der Politik, sondern in einem anderen Gesellschaftsbereich: „Culture is it!“, auf die Kultur kommt es an.

Dass das bankrotte Berlin mangels echter Industriearbeitsplätze Kunst und Kreativität braucht, ist keine neue Erkenntnis. Doch an diesem Nachmittag sitzen ein Ökobauer, ein Designer, ein Investitionsbanker und ein Referentin der IHK zusammen auf Einladung des „und.institut für Kunst, Kultur und Zukunftsfähigkeit“. Sie trafen sich bereits im Mai, auch mit Vertretern von Politik und Verwaltung, zu einem zweitätigen „Zukunftslabor“ und halten beharrlich an ihrer Idee fest. Damit kann man „Culture is it!“ getrost als kleine Revolution bezeichnen.

„Unser Ziel ist es, modellhafte Kreativbündnisse zu entwickeln, mit Partnern, die bisher zu wenig miteinander kooperieren“, sagt Hildegart Kurt vom und.institut. „Culture is it!“ will dem auf die Sprünge helfen, was man gemeinhin mit der spröden Worthülse „Nachhaltigkeit“ bezeichnet. Nachhaltig sind nicht nur Biobauernhöfe und Häuser mit Solaranlage, sondern auch soziale oder kulturelle Vorhaben, die dauerhaft etwas bewegen. Nur wenn alle, vom Künstler bis zum Wirtschaftsförderer, an einem Strang ziehen, so der Gedanke, kann Berlin ein Stück ökologischer, solidarischer und kreativer werden.

Von Mode lernen

„Wir wollen mehr über Materialien lernen und für unser eigenes Schicksal Verantwortung übernehmen“, sagt Christian Schneegass von der Akademie der Künste in seiner Eröffnungsrede. Die Worte hat er sich zwar beim Bildhauer Tony Cragg geliehen, doch sie umschreiben gut den wissbegierigen und eifrigen Charakter dieses zweiten Zusammentreffens.

Zwei der Teilnehmerinnen haben die Veranstaltung im Mai zu einem Kurzfilm verarbeitet. Alle schmunzeln an der Stelle, wo der Mann von der Investitionsbank geduldig dem langhaarigen bayerischen Ökobauern erklärt, was eine „unique selling proposition“ (usp) ist. Damals hatte Michael Wimmer von der Fördergemeinschaft Ökologischer Landbau Berlin-Brandenburg noch gemotzt, das könne man doch alles auch auf Deutsch sagen. Heute erklärt er den anderen TeilnehmerInnen gewandt, wie die von seiner Arbeitsgemeinschaft ersonnene Agentur den „break even“ erreichen könnte.

Die Teilnehmer lernen nicht nur voneinander, sie erarbeiten auch in thematischen Arbeitsgruppen konkrete Ergebnisse. Eine „Hafen-Initiative“ will Anlaufpunkt für Kreative sein und deren Ideen an kapitalträchtige Firmen oder die richtigen Förderstellen vermitteln. Orientieren will man sich dabei an Initiativen wie dem British Fashion Council oder dem deutschen Musikexportbüro German Sounds. Ein paar Teilnehmerinnen sind skeptisch. „Ihr müsst unbedingt die Jobcenter mit einbeziehen, sonst verschwendet ihr Energie!“, ruft Adrienne Goehler, die als Gast gekommen ist. Stadtplanerin Katja Niggemeier sind die internationalen Vorbilder zu unkritisch gewählt. „Die Fashion Week ist vielleicht standortfördernd, aber doch nicht nachhaltig. Die Frage nach den Produktionsbedingungen von Mode stellt mal wieder keiner“, sagt sie und verschwindet in den Garten, wo Kaffee und Kuchen warten. Draußen wird nach der Pause im Kreis der Arbeitsgruppe Konkreteres besprochen: Katja Kühnel von der IHK hat für dieses Jahr noch Geld übrig, doch erst will sie ein Konzept, das sie überzeugt. „Ihr wollt einfach zu viel: prüfen, vermitteln, ausbilden, eigene Projekte durchführen. Das geht nicht.“ Betretene Gesichter. Norbert Rheinlaender von der Initiative Berlin21, Axel Watzke vom Designbüro „Anschlaege“ und die anderen sitzen noch eine Weile zusammen.

Künstler in die Schule

Nebenan im Clubraum tagt die Arbeitsgruppe „Wissen wollen“, die sich vorgenommen hat, systematisch Künstler an Schulen zu holen. „Bisher fanden Projekte sporadisch auf Einzelinitiative von Schulleitern statt, die Finanzierung war schwierig und kurz, und nach dem Projekt war wieder Schluss“, fasst Seraphina Lenz von der Neuköllner „Werkstatt für Veränderung“ die bisherige Praxis zusammen. Eine Verschwendung von Erfahrung, Energie und Geld, findet sie. „Wissen wollen“ will ein Modellprojekt für Kunstvermittlung an Schulen entwickeln und später eine Schnittstelle für die Finanzierung solcher Projekte einrichten. An Ideen mangelt es nicht, in der Arbeitsgruppe sind eine Tänzerin und Künstlerinnen mit Schulerfahrung vertreten. Doch mit welcher Schule anfangen? Und wer bezahlt? Katja Niggemeier weiß, dass ab 2008 wieder 1,3 Milliarden Euro für das Programm Soziale Stadt zur Verfügung stehen. Bis dahin kann Dorothea Kolland vom Bezirksamt Neukölln mit 3.000 Euro aushelfen. Vattenfall wäre interessiert daran, das Projekt zu fördern – möglichst mit Bildungssenator Klaus Böger (SPD) als Schirmherrn. „Nehmt lieber Wowereit, der ist sicherer!“, lacht Heike Stock von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Auch bei „Wissen wollen“ steht vor dem Sponsor die Ausarbeitung eines Konzepts.

Erschöpft und mit vielen Hausaufgaben verlassen die „Culture is it!“-TeilnehmerInnen die Akademie der Künste. Einige von ihnen werden sich schon recht bald wiedersehen: auf den Experimentdays für nachhaltige Stadtentwicklung. Oder nächste Woche bei der Werkstattkonferenz „Offensive Kulturelle Bildung“ in Kreuzberg. Gesprächsbedarf scheint es jede Menge zu geben. „Wenn hier nur über Kunst gelabert würde, wäre ich schon längst gegangen“, sagt Axel Watzke. „Aber für die Zukunft nehme ich mir gerne Zeit.“