Krise? Welche Krise?

AUS BERLIN JENS KÖNIG

Krise ist Krise. Sie liefert immer die gleichen Bilder, egal welche Koalition gerade von ihr betroffen ist: Spitzenpolitiker, die sich um so lockerer geben, je größer das Feuer ist, das unter ihrem Dach lodert. Am Freitagmittag also Kanzlerin Merkel (CDU) und SPD-Chef Beck. Die letzten Meter bis zu den Mikrofonen im Kanzleramt legen sie gemeinsam zurück, ganz dicht beieinander, angeregt plaudernd, lachend. Nichts soll darauf hindeuten, dass sie gerade ein einstündiges Krisentreffen hinter sich gebracht haben.

Krise? Welche Krise?

Es ist doch wohl selbstverständlich, dass die Chefs im Ring mal miteinander reden, nicht wahr? „Das wird noch öfter passieren“, sagt Angela Merkel aufgeräumt und Kurt Beck grinst breit. Eine „Bestandsaufnahme“ der Gesundheitsreform hätten sie vorgenommen, referiert Merkel nüchtern, nicht mehr und nicht weniger.

Bestandsaufnahme. So, so.

Wenigstens die Beschwichtigungsvokabeln haben sich mit der großen Koalition der großen Technokraten geändert. Und wie fällt die angebliche Bestandsaufnahme aus? Ernüchternd. „Wir haben den absoluten politischen Willen, die Gesundheitsreform zu Ende zu führen“, sagt Merkel. Und: „Wir werden diesen Wille jetzt in die Arbeitsgruppe der Koalition hineingeben.“ Und: „Sorgfalt geht vor Schnelligkeit, es kommt nicht auf den Tag an. Ich rate allen zu mehr Gelassenheit.“

Gelassenheit ist etwas, was Beck gern ausstrahlt, auch wenn es ihn einige Anstrengung kostet. Der SPD-Chef zeigt sich also ganz überzeugt davon, dass die Reform kommt, „zügig, aber ohne Hast“. Der Gesundheitsfonds? „Bleibt.“ Die sogenannte Ein-Prozent-Regel, von den Sozialdemokraten gewollt, von der Union verflucht? „Ein unverzichtbarer Bestandteil der Reform.“ Man müsse sie jetzt so ausgestalten, dass sie in der Praxis funktioniere, so Beck.

Also alles geregelt? Nein, die entscheidenden Fragen sind nicht geregelt. Alles an dem Treffen Merkel/Beck war Krise: Dass es überhaupt stattfand. Dass es ohne Ergebnis blieb. Dass in den entscheidenden Details keine Einigung in Sicht ist.

Das alles ist umso bemerkenswerter, als Merkel und Beck ihren Willen zur Einigung erst zwei Tage zuvor in einem Gespräch bekräftigt hatten. Die neunstündigen Beratungen der Gesundheitsexperten von Union und SPD am Donnerstag waren dann jedoch erneut ohne Fortschritte zu Ende gegangen. Die destruktive Haltung der Union dabei hatte die Sozialdemokraten so wütend gemacht, dass Beck ein neuerliches Gespräch mit der Kanzlerin für notwendig erachtete.

In der Sache besteht auch danach zwischen beiden Seiten eine scheinbar unüberbrückbare Kluft: Während die SPD die sogenannte Überforderungsklausel (Text unten) wie in den Eckpunkten zur Gesundheitsreform vereinbart bei einem Prozent halten will, beharrt die Unionsseite darauf, sie auf zwei oder drei Prozent zu erhöhen. Angela Merkel legte sich gestern, im Gegensatz zu Kurt Beck, bei der Höhe der Klausel nicht fest. Dieser Streit soll jetzt jedoch auf der Spitzenebene der Koalition geklärt werden. Nur wie, das ist weiterhin unklar. Dazu sollen noch einmal Sachverständige befragt werden. „Dann werden wir einen Weg finden“, versicherte die Kanzlerin, „aber dieser Weg ist heute noch nicht genau vorgezeichnet.“

Doch bei aller Krise, in der die Regierung ohne Zweifel steckt, bei allem Misstrauen zwischen SPD und Union, bei allen gegenseitigen Verdächtigungen und Vorwürfen – keine Seite kann ein Interesse daran haben, dass die Koalition bricht, jedenfalls nicht jetzt. Ein Scheitern wäre für alle fatal: für Merkel, für Beck, für Stoiber, für Koch, für Wulff, für die CDU, für die SPD. Also wird das Nervenspiel um die Gesundheitsreform noch drei, vier Wochen weitergehen – bis es eine Einigung gibt. Welche auch immer.