„Zeit der Maskeraden“

Nach Lesbenprotest: Über das Mahnmal für die von den Nazis verfolgten Schwulen muss neu verhandelt werden

Jahrelang tagte die Kommission um ein Homo-Mahnmal, stets auf ihre Art historischer Präzision bedacht: Die Nationalsozialisten verfolgten nach ihren Gesetzen schwule Männer – nicht jedoch lesbische Frauen. Ein von einer Jury im Januar verabschiedeter Entwurf eines Mahnmals, ästhetisch eng angelehnt an das Holocauststelenfeld, erarbeitet von den Skandinaviern Michael Elmgreen und Ingar Dragset, sah eine Stele im Berliner Tiergarten vor. In Sichtweite des Mahnmals von Peter Eisenman sollte sie einen Videoclip enthalten, in dem zwei sich zärtlich küssende Männer zu sehen sein würden.

Dieser Stand der erinnerungspolitischen Entscheidungsfindung ist nun storniert: Der Lesben- und Schwulenverband (LSVD), seit einigen Jahren zusammen mit der ursprünglichen Mahnmalsinitiative treibende Kraft des Homo-Mahnmals, zog nun die Konsequenzen aus einer von der Zeitschrift Emma sowie der taz am 28. August durch die Schauspielerin Maren Kroymann lancierten öffentlichen Kritik, der zufolge der Entwurf die Verfolgung von Lesben nicht integriere.

In einer öffentlichen Kontroverse in Berlin konnten sich beide Sichtweisen nicht einigen: Die Mahnmalsinitiative beharrte darauf, dass Lesben nicht gesetzlich behelligt worden seien; die Kritikerinnen hingegen verwiesen auf patriarchale Verhältnisse innerhalb des Nationalsozialismus, denen auch lesbische Liebe zum Opfer gefallen sei, so dass alle Homosexuellen in einer „Zeit der Maskeraden“ haben leben müssen.

Der LSVD, auf dessen Betreiben nun die kuratorische Arbeit für wertlos erachtet wurde, trägt freilich selbst Verantwortung für das erinnerungspolitische Desaster: Viel zu lange hat man auf der Rosa-Winkel-Konkurrenz beharrt, allzu krass die Toten gezählt – und nicht den Verlust ermessen, der in der Zerstörung der liberalen und nichtklassische Lebensstile erst ermöglichenden Infrastruktur der Weimarer Republik für homosexuelle Menschen aller Art durch den NS-Terror enthalten war. Denn tatsächlich waren lesbische Frauen nicht verfolgt, gleichwohl NS-Organe sie im Visier hatten.

Elmgreen und Dragset, die zu Recht enttäuschten Künstler, Opfer einer falschen Opposition – hier die verfolgten schwulen Männer, dort die juristisch ignorierten lesbischen Frauen –, beharren darauf, dass ihr Entwurf unverändert gebaut wird. Oder eben gar nicht.

Der LSVD hatte offenbar erkannt, dass der öffentliche Druck zu groß ist: Er fordert die Bundesregierung, den Kulturstaatsminister und die Künstler auf, neuerlich in die Diskussion einzutreten. Ein Baubeginn des Mahnmals zum Frühjahr 2007 ist nunmehr unwahrscheinlich. JAF