Freie Sicht aufs Ehebett

Puzzeln wie im Kindergarten, um exakte Raumlösungen zu finden: Das japanische Architektenbüro SANAA soll die Erweiterung für das Bauhaus-Archiv gestalten. Eine begleitende Ausstellung zeigt Entwürfe vom Wohnblock bis zum High-Tech-Museum

VON RONALD BERG

Kazuyo Sejima ist eine zierliche und schmale Frau, selbst für eine Japanerin. Zur Eröffnung der Ausstellung „SANAA“ im Bauhaus-Archiv ist die Architektin aus Tokio angereist: schlicht in Schwarz mit Rock und Pullover, nur die überdimensional dicksohligen Stiefel verleihen der Fünfzigjährigen etwas Kindliches.

SANAA steht für Sejima And Nishizawa Associated Architects. Kazuyo Sejima gründete das Büro 1995 mit ihrem zehn Jahre jüngeren Partner Ryue Nishizawa. Im letzten Jahr gewannen SANAA den Wettbewerb zur Erweiterung des nach Plänen von Walter Gropius 1978 errichteten Bauhaus-Archivs. SANAAs Entwurf sieht eine unterirdische Umbauung der vorhandenen Kellerräume vor, um hier auf rund 2.000 Quadratmetern einen Ausstellungsrundgang zu ermöglichen. Der denkmalgeschützte Altbau bleibt unangetastet, nur die quer über das Gebäude verlaufende Eingangsrampe soll fallen.

Dafür sind überirdisch ein neuer Eingang und ein Café auf der umgebenden Grünfläche geplant. Der für die größte Sammlung zum Bauhaus und seinem Umfeld schon immer zu kleine Altbau wird oberirdisch für den Ausstellungsbetrieb aufgegeben. Zukünftige Kongress- und Veranstaltungsteilnehmer werden sich stattdessen an der Aussicht aus den freigelegten Fenstern erfreuen können. Äußerlich dominantestes Bauwerk wird aber der Neubau eines sechsstöckigen Glaskubus an der Klingelhöfer-/Ecke Von-der-Heydt-Straße sein. Er ist für private Investoren vorgesehen.

Der Bau ist notwendig, weil das Land Berlin dem Bauhaus-Archiv für seine dringend nötige Erweiterung kein Geld zur Verfügung stellen will. Spätestens 2010 zum 50-jährigen Jubiläum der Institution soll Baubeginn sein. Bis dahin hofft Annemarie Jaeggi, Direktorin des Bauhaus-Archivs, einen Investor gefunden zu haben. Der Name Bauhaus habe immer noch eine große Aura, so Jaeggi.

Großen Respekt für das Gropius-Gebäude verrät auch SANAAs Entwurf. Die Ausstellung im Bauhaus-Archiv gibt mit Modellen, Fotos und Videos darüber Einblicke, wie das Team zu baulichen Lösungen gelangt. Am Anfang steht stets der Kontext. „Wenn das Programm sehr komplex ist, versuchen wir manchmal herauszufinden, was der interessanteste Punkt bei dieser Aufgabe ist“, erläutern SANAA ihre Strategie. Die aus konservatorischer Sicht notwendige Verdunkelung, wegen der das Bauhaus-Archiv derzeit komplett die Fenster verhängen muss, führte deshalb zu einer unterirdischen Lösung.

Dabei sind lichte und transparente Räume eigentlich ein Markenzeichen von SANAA. Bei ihrem Museum für Glaswaren in Toledo, Ohio, bestehen sogar sämtliche Wände aus Glas. Die einzelnen Räume öffnen sich nicht nur optisch, sondern fließen mit ihren kurvigen Grundrissen ineinander, um den Besuchern größtmögliche Freiheit beim Durchqueren zu erlauben. Die Architektur entwickelte sich aus den Inhalten, Notwendigkeiten und Bedürfnissen von Museum und Besuchern, die SANAA in eine räumliche Struktur übersetzten. Der halb transparente, halb reflektierende Abschluss der Räume nach außen bildet dabei die Form eines Rechtecks.

Offenbar geht es in SANAAs Büro ähnlich zu wie im Kindergarten. Man puzzelt mit Klötzchen herum, bis es passt, auch Pappe und Karton kommen zum Einsatz. Für den Neubau des New Museum of Contemporary Art in Manhattan dienten Kartons als Entwurfshilfe. In der Ausstellung sieht man, wie die übereinandergestapelten, leicht gegeneinander verschobenen Kartons die Form des gerade im Bau befindlichen Gebäudeturms exakt vorwegnehmen. So einfach kann Architektur sein.

Natürlich steckt die Kunst im Detail. Denn das fertige Gebäude wird nicht wie bei den Kartons durch die Außenwände getragen, sondern durch Stützen im Inneren. Da die Entwürfe zuerst als Modell in diversen Materialien entwickelt werden, spielt das schließlich am Bau verwendete Material für SANAA eine untergeordnete Rolle. Form und Struktur der Bauaufgabe sind wichtiger und lassen sich eben schon im Kleinen entwickeln. Der riesige Würfel aus Rohbeton der School of Management and Design in Essen mit unregelmäßig eingeschnittenen Fenstern nimmt in seiner Gestalt Bezug zu den kubischen Gebäuden der benachbarten Zeche Zollverein. Die dünne, zur Isolierung von Wasser durchflossene Betonfassade ist nur die Hülle für das Zusammenspiel der unterschiedlichsten Räume innen. Das gleiche Prinzip kam beim Wohnhaus für eine fünfköpfige Familie in Tokio zur Anwendung. 14 zum Teil extrem schmale Zimmer organisieren sich in einem ganz aus Stahlplatten errichten Haus auf einem nur wenige Meter großen Grundstück. Fenster und Übergänge im Inneren sorgen für optische Weite: Die Großmutter kann von ihrem Zimmer direkt aufs Ehebett der Eltern schauen.

Mit ihrem strukturellen Denken, ihrem Sinn für die situative Beziehung von Menschen, Räumen und Funktionen und ihrer prozessualen Entwurfsmethode haben SANAA japanische Traditionen mit der Moderne vereint. Moderne, so sagt Kazuyo Sejima, bedeute die Beziehung von Architektur und Leben.

Bis 20. 11., tägl. außer Dienstag 10–17 Uhr, Bauhaus-Archiv, Klingelhöferstr. 14, Tiergarten.